Poker um Lagardes Nachfolge: Geht EZB-Spitze an Deutschland?

Bei den Leitzinsen im Euroraum gibt vorerst keine Bewegung. Langeweile kommt bei der Europäischen Zentralbank trotzdem nicht auf: Das Rennen um Lagardes Nachfolge hat begonnen.
von  Alexander Sturm und Jörn Bender, dpa
Lagarde: "Ich finde es in gewisser Weise sehr befriedigend, dass so viele Menschen meinen Job haben wollen. Es ist ein großartiger Job."
Lagarde: "Ich finde es in gewisser Weise sehr befriedigend, dass so viele Menschen meinen Job haben wollen. Es ist ein großartiger Job." © Boris Roessler/dpa

Seit Monaten halten Europas Währungshüter die Leitzinsen im Euroraum stabil, ein anderes Thema rückt bei der Europäischen Zentralbank (EZB) immer mehr in den Vordergrund: die Nachfolge von Präsidentin Christine Lagarde. Zwar endet die Amtszeit der Französin erst im Oktober 2027. Doch der Poker um den Spitzenposten in Frankfurt hat bereits begonnen. Kann Deutschland erstmals die EZB-Spitze besetzen?

Welche Optionen gibt es für die EZB-Spitze?

Lagarde trat ihr Amt als Nachfolgerin des Italieners Mario Draghi am 1. November 2019 an. Berufen wird der Präsident oder die Präsidentin der EZB für acht Jahre. Lagarde ist also noch bis Ende Oktober 2027 im Amt. Über ihre Nachfolge wird aber schon spekuliert. 

Gleich zwei deutsche Notenbanker haben Interesse bekundet. "Grundsätzlich dürfte jeder Notenbanker im EZB-Rat die Kompetenz zur Nachfolge für das Spitzenamt im Eurosystem haben", sagte Bundesbank-Präsident Joachim Nagel dem "Spiegel". Deutlicher wurde EZB-Direktorin Isabel Schnabel im Gespräch mit dem Finanzdienst Bloomberg: "Wenn ich gefragt würde, stünde ich bereit."

Angesprochen auf die Spekulationen um ihre Nachfolge, stellte Lagarde in Frankfurt klar: "Ich habe keinen Lieblingskandidaten. Es gibt viele sehr gute Kandidaten, Isabel ist eine davon, aber es gibt noch viele andere, und ich bin mir sicher, dass es in Zukunft noch mehr geben wird." Die Französin ergänzte: "Ich finde es in gewisser Weise sehr befriedigend, dass so viele Menschen meinen Job haben wollen. Es ist ein großartiger Job."

Kann sich Deutschland Hoffnung machen?

Da Frankreich mit Lagarde und ihrem Vor-Vorgänger Jean-Claude Trichet schon zwei Mal die EZB-Spitze besetzte, Europas größte Volkswirtschaft Deutschland aber noch nie, könnte ein deutscher Kandidat Chancen haben.

SPD-Mitglied Nagel darf auf Unterstützung der Bundesregierung bauen. Schnabel gilt als ausgezeichnete Ökonomin, bei ihr gibt es aber eine rechtliche Hürde: Ihr 2027 endendes Mandat darf formal nicht verlängert werden. Gegen eine deutsche Besetzung der EZB-Präsidentschaft spricht auch, dass bereits der Chefposten der EZB-Bankenaufsicht von der deutschen Ökonomin Claudia Buch bekleidet wird.

Als mögliche Lagarde-Nachfolger wurden in Medien zuletzt auch der frühere niederländische Notenbankchef Klaas Knot sowie der Spanier Pablo Hernández de Cos genannt, der derzeit Chef der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) ist.

Wer entscheidet über die Nachfolge von Lagarde?

Die Besetzung der EZB-Spitzenposten ist Teil eines Brüsseler Personalpokers. Die Entscheidung liegt bei den Eurostaaten. Noch vor Lagarde wird EZB-Vize Luis de Guindos die Zentralbank verlassen: Sein Mandat läuft Ende Mai 2026 aus. EZB-Chefvolkswirt Philip R. Lane geht ein Jahr später.

Die Lagarde-Nachfolge dürfte daher Teil eines größeren Personalpaketes werden. Üblicherweise achten die Verhandler darauf, dass es ein Gleichgewicht von kleinen und großen, südlichen und nördlichen Euroländern gibt. Das gilt auch für das Verhältnis von Befürwortern einer harten Geldpolitik ("Falken") und den Verfechtern eines eher lockeren Kurses ("Tauben"). Mitte 2029 endet zudem die Amtszeit von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Auch das dürfte im Ringen um die Spitzenposten eine Rolle spielen.

Wie geht es mit den Zinsen im Euroraum weiter?

Hier ist wenig Bewegung zu erwarten. "Die Zinssenkungen der EZB sind abgeschlossen, und die Geldpolitik wird keine zusätzlichen expansiven Impulse mehr setzen", prognostizierte Robin Winkler, Chefvolkswirt Deutschland bei der Deutschen Bank, schon vor der jüngsten Sitzung des EZB-Rates - und so kam es auch: Zum vierten Mal in Folge tastete die Notenbank die Leitzinsen nicht an, der für Sparer und Banken relevante Einlagenzins bleibt bei 2,0 Prozent.

Michael Heise, Chefökonom beim Vermögensverwalter HQ Trust, glaubt: "Stabilität dürfte zum neuen Credo der Zinspolitik 2026 werden. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass der Einlagensatz von 2,0 Prozent auch am Jahresende 2026 noch gültig ist."

In der Tat scheint die Neigung, die Leitzinsen weiter zu senken, gering. Immer wieder betonte EZB-Präsidentin Lagarde, die Geldpolitik sei derzeit "gut aufgestellt". EZB-Direktorin Schnabel sprach sich in einem Interview für wieder steigende Leitzinsen aus. Sie sei "durchaus einverstanden" mit der Erwartung der Märkte, "dass der nächste Zinsschritt eine Anhebung sein wird, wenn auch nicht in naher Zukunft".

Wie steht es um die Wirtschaft im Euroraum?

Entgegen düsterer Prognosen hält sich die Wirtschaft im Euroraum trotz des Zollstreits mit den USA robust. Im dritten Quartal legte das Bruttoinlandsprodukt um 0,2 Prozent zu, getragen von einstigen Krisenländern wie Spanien und Portugal sowie Frankreich, während Deutschland schwächelt. Ihre Prognosen für das Wachstum hob die EZB an: Nach 1,4 Prozent Plus im laufenden Jahr traut sie dem Euroraum 2026 ein Plus von 1,2 Prozent zu.

Hat die EZB die Inflation im Griff?

Die nach Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine ausgeuferte Inflation ist eingedämmt. Im November des laufenden Jahres lag die Teuerungsrate im Euroraum nach jüngsten Eurostat-Angaben bei 2,1 Prozent. Wichtigste Aufgabe der EZB ist es, für einen stabilen Euro zu sorgen und so die Kaufkraft der Menschen zu erhalten. Das Ziel sieht die EZB bei einer Inflationsrate von mittelfristig 2,0 Prozent erreicht. 2025 wird diese Marke nach Schätzung der EZB mit 2,1 Prozent noch leicht überschritten, im kommenden Jahr könnte die Inflation dann mit 1,9 Prozent darunter liegen. 

Was heißt das alles für Sparer?

Die Tages- und Festgeldzinsen sind vergleichsweise niedrig. In der Regel können Anleger nicht die Inflation ausgleichen, die in Deutschland im November bei 2,3 Prozent lag. Ersparnisse verlieren daher an Wert.

Was sind die Folgen für Hausbauer und Immobilienkäufer?

Die Kreditzinsen hängen nicht direkt von den EZB-Leitzinsen ab, sondern orientieren sich an der Rendite der zehnjährigen Bundesanleihen. Da Investoren mit den Milliardenausgaben für Infrastruktur und Verteidigung eine steigende Staatsverschuldung in Deutschland erwarten, haben die Renditen dieser Papiere angezogen. In der Folge herrscht bei den Bauzinsen Aufwärtsdruck.

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