Ölpreis-Schock schreckt Mittelstand auf
Hamburg (dpa) - Die Rekord-Ölpreise lassen zehntausende deutsche Unternehmen um ihre Existenz bangen. Laut einer Umfrage im Mittelstand könnten hochgerechnet gut 50 000 Firmen ins Wanken geraten.
Fast jedes zweite Unternehmen wolle die Preise erhöhen, ergab die Befragung der Wirtschaftsauskunftei Creditreform. Genau davor warnte Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU), weil die Inflation Arbeitsplätze vernichten würde. Die Internationale Energie- Agentur (IEA) dämpfte Erwartungen, dass Öl wieder dauerhaft billiger werden könnte. Der Ölpreis-Schock ist am Montag auch ein zentrales Thema beim Gipfeltreffen der wichtigsten Industrieländer und Russlands (G8) im japanischen Toyako.
Die Ölpreise waren in den vergangenen Tagen über die Marke von 145 Dollar je Barrel (159 Liter) gestiegen. Daraufhin erreichten auch die Spritpreise in Deutschland Rekordmarken: Ein Liter Benzin kostete durchschnittlich 1,60 Euro, Diesel 1,56 Euro. DIW-Expertin Claudia Kemfert warnte, bei dem in der Branche erwarteten Ölpreis von 170 Dollar je Barrel würde ein Liter Benzin in Deutschland 1,75 Euro kosten. Bei 200 Dollar je Barrel würden beim jetzigen Euro-Dollar- Kurs 1,95 Euro je Liter Benzin fällig werden, sagte sie «Euro am Sonntag» und dem «Tagesspiegel» (Montag). Die Transportbranche befürchtet wegen der Dieselpreis-Rekorde den Verlust zehntausender Arbeitsplätze, Spediteure drohen mit Protesten.
Bei der Creditreform-Befragung von 4000 mittelständischen Unternehmen gaben Ende Juni 1,5 Prozent der Firmen an, wegen der hohen Kosten bereits jetzt vor der Geschäftsschließung zu stehen. Hochgerechnet auf den gesamten Mittelstand in Deutschland entspreche das einer Zahl von 51 000 Unternehmen, sagte ein Sprecher von Creditreform der Deutschen Presse-Agentur dpa. Allein im Einzelhandel befürchteten demnach 15 000 Firmeninhaber, das Geschäft aufgeben zu müssen. Im Verkehrs- und Logistiksektor sowie im Baugewerbe rechnen nach Creditrefom-Hochrechnung jeweils 5600 Unternehmen mit dem Aus.
Akuten Alarm schlägt die Verkehrsbranche. «Für das Transportgewebe ist die Dieselpreisbelastung katastrophal», sagte der Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbandes Verkehrsgewerbe Niedersachsen, Bernward Franzky, der dpa. Innerhalb eines Jahres seien die Kosten pro Lastwagen um 12 000 Euro gestiegen. Hinzu komme die geplante Erhöhung der Lkw-Maut im Schnitt von 13,5 auf 16,3 Cent pro Kilometer. «Das macht pro Lastwagen pro Jahr noch einmal eine Mehrbelastung von 9500 Euro.»
Bundesweit drohten rund 3000 Speditionen in die Insolvenz zu gehen, sagte Franzky. Dies wären vier Mal mehr als im vergangenen Jahr. Derzeit gebe es bundesweit rund 51 000 Betriebe. Die Speditionen hätten große Schwierigkeiten, die höheren Kosten an die Kunden weiterzugeben. Auch aus anderen Branchen wie der Luftfahrt heißt es, der harte Wettbewerb in Europa erlaube es kaum, die höheren Energiepreise an die Kundschaft durchzureichen.
Glos warnte im «Handelsblatt» (Montag), Preiserhöhungen seien der falsche Weg. «Die Hauptgefahr besteht darin, dass Preissteigerungen, die wir jetzt bei Einzelprodukten beklagen, in einen breit angelegten Inflationsprozess münden. Das wäre in der Tat die schlimmste Folge», sagte Glos. Jede Erhöhung des allgemeinen Preisniveaus wirke in voller Breite «unsozial und mittelfristig beschäftigungsvernichtend». Die Gewerkschaften rief Glos zur Zurückhaltung in den anstehenden Tarifrunden auf. Staatlichen Hilfen angesichts der Ölpreisentwicklung erteilte der Minister eine Absage.
Der Versicherungskonzern Allianz rechnet unterdessen mit einem Anstieg der Ölpreise auf 200 Dollar je Barrel. «Ich kann nicht sehen, wie wir nach dem Jahr 2010 längerfristig einen Ölpreis von unter 200 Dollar haben können», sagte Vorstandsmitglied Joachim Faber dem «Tagesspiegel» (Montag).
Auch die IEA erwartet dauerhaft hohe Ölpreise. Zwar werde sich die Lage am Ölmarkt bis 2009/2010 zunächst entspannen, da neue Förderprojekte die Produktion aufnehmen, sagte der IEA- Exekutivdirektor Nobuo Tanaka dem «Handelsblatt» (Montag). Danach werde die Förderung aber sinken und gleichzeitig die Nachfrage steigen, vor allem in den Entwicklungsländern: «Bis 2013 bleibt die Lage am Markt sicher gespannt.»
Die vielgescholtene Spekulation verstärkt nach Tanakas Einschätzung die Bewegungen des Ölpreises, ist aber nicht die Ursache. Um den Ölmarkt zu entspannen, müssten sich die Marktfundamente ändern: Mehr Investitionen auf der Angebotsseite, stärkere Energiesparbemühungen auf der Nachfrageseite. «Dann verschwindet auch die Spekulation, die auf weiter steigende Ölpreise setzt», sagte der IEA-Direktor.
Die Bundesregierung setzt als Alternative zum Öl verstärkt auf Windkraft mit dem Bau von bis zu 30 Windparks in der Nord- und Ostsee, berichtete die «Welt am Sonntag». Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee habe einen entsprechenden Raumordnungsplan fertiggestellt. «Wir setzen auf regenerative Energien und nicht auf Atomkraft», sagte der SPD-Politiker der Zeitung.
Der Reiseriese TUI Deutschland kündigte unterdessen Preiserhöhungen an. In der neuen Saison würden Reisen etwa in Mittelmeerländer durchschnittlich 2,9 Prozent teurer, Ziele mit eigener Anreise um 1,8 Prozent. Der Reisekonzern erwarte aber keine Einbußen. Die Ausgabebereitschaft für Urlaubsreisen bleibe hoch, sagte TUI-Deutschland-Chef Volker Böttcher.
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