Neues Krimi-Zeitalter
Der AZ-Politikchef Frank Müller über die Jagd auf Julian Assange.
Seit Jahrzehnten plappern wir fröhlich vor uns hin, die Welt trete nun ins Informationszeitalter ein. Jetzt wissen wir, was damit gemeint war. Es beginnt die Ära, in der eine Handvoll Entschlossener mit guten Programmierkenntnissen die Welt an den Rand des Wahnsinns führen kann. Die Geschichte von Wikileaks ist die Story des Jahres – es ist einer jener Stoffe, die man einem Drehbuchautor mit ein paar guten Ratschlägen noch einmal mit nach Hause geben würde: Bitte überarbeiten und die Fantasie nicht ganz so stark ins Kraut schießen lassen...
Doch die Geschichte des Julian Assange ist echt, ihre Botschaft ist wichtig: Sie zeigt, wie wenig wir und unsere Regierungen im Zeitalter der Information angekommen sind. Zu versuchen, wie die Amerikaner, solche Informationen aus dem Netz zu tilgen, hat etwas von der rührenden Unbeholfenheit deutscher Häuslebauer im Umgang mit Google Streetview. Löschen, sperren, verbieten – das schafft schon China kaum noch in der Onlinewelt. Für die freie Welt sollte sich dieser Ansatz von Haus aus verbieten.
Es wird nochmehr Männer vom Schlage Assange geben: gewiefte, clevere Selbstdarsteller. Manche werden gefährlicher werden als der Mann mit dem Hacker-Ethos, der letztlich vor allem guten Party-Gesprächsstoff zu Tage förderte. Soll er dafür ins Gefängnis oder gar „hingerichtet“ werden, wie es US-Politiker fordern? Strafe hätte Assange nur für eines verdient: wenn der Vergewaltigungsvorwurf stimmt. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.
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