Nach GameStop-Hype: Jetzt stürzen sich Kleinanleger auf Cannabis-Aktien
Düsseldorf - Siemens? VW? Tesla? Nein, laut der Düsseldorfer Handelsplattform Lang & Schwarz legten deutsche Kleinanleger am Donnerstag weniger Geld in diesen Werten an als in die Aktien von Tilray - einem Unternehmen, das Cannabis-Produkte vertreibt. Auch die Aktien von deren Konkurrenten Sundial Growers und Aurora Cannabis wurden im großen Stil gehandelt. Sind die Anleger bekifft?
Cannabis ist zum Trendthema an US-Börsen geworden
Keineswegs, sie folgen nur einem Hype, der gerade aus den USA herüberschwappt. Cannabis ist seit der Wahl Joe Bidens im November zu einem Trendthema an den US-Börsen geworden. Denn er und Vizepräsidentin Kamala Harris machen sich für die Legalisierung von Cannabis auf Bundesebene stark. Die politischen Gestaltungsmöglichkeiten der beiden stiegen enorm, als die Demokraten Anfang Januar den Senat eroberten - und seither spekulieren in den USA noch mehr Investoren darauf, dass ein riesiger legaler Markt für Cannabis entstehen wird. Bis 2025 könnte dieser auf fast 50 Milliarden Dollar wachsen, glaubt das kanadische Marktforschungsunternehmen BDSA. Zudem spekulieren Anleger auf eine Welle von Übernahmen und Fusionen unter den Cannabis-Firmen.
Der North America Cannabis Select Index mit neun Cannabis-Aktien stieg seit Januar um fast das Doppelte, ähnlich stark entwickelte sich der Fonds Alternative Harvest. Besonders in die Höhe schossen die Aktien von Sundial Growers und Tilray. Die Aktie des kanadischen Unternehmens hat sich seit Anfang des Jahres sogar versechsfacht. Besonders starken Schwung nahm die Rally seit Dienstag auf, als das Unternehmen ankündigte, künftig mit Grow Pharma zusammenzuarbeiten und so seine medizinischen Cannabis-Produkte auch in Großbritannien vertreiben zu können: Die Aktie stieg sogleich um 40 Prozent, am Mittwoch um 51 Prozent - mehr, als die Nachricht rechtfertigt.
Durch Reddit kam es schon zum Hype um die Kette GameStop
Hinter dieser außergewöhnlichen Kursrally stecken nämlich abermals zahllose Kleinanleger, die sich über das Forum "WallStreetBets" auf der Social-News-Plattform Reddit absprechen. Diese Internet-Guerilla hatte im Januar den beispiellosen Börsenhype um die kriselnde US-Videospiel-Ladenkette GameStop ausgelöst. Am Anfang der neuerlichen Rally stand eine Nachricht auf "WallStreetBets": Unter anderem Tilray hätte noch viel Luft nach oben, hieß es da. Dieser Post wurde laut der Agentur Reuters binnen zwölf Stunden rund 10.000 Mal geliked - und die Kleinanleger begannen zu kaufen.
Ihre Motivation ist ähnlich vielgestaltig wie bei dem GameStop-Hype: Sie wollen Geld verdienen, klar. Und wie bei GameStop wollen das viele, indem sie ein Unternehmen unterstützen, hinter dem sie stehen: Damals waren das Zocker und Fans der Ladenkette, diesmal wohl Befürworter des medizinischen Einsatzes von Cannabis und wohl auch ein paar, nun ja, Kiffer. Und es gibt noch einen Grund, weshalb so viele Kleinanleger in Tilray investieren: Wie schon bei GameStop versuchen sie, Shortsellern zu schaden, also Börsenprofis, die auf fallende Kurse von Unternehmen setzen. Meist stecken dahinter reiche Hedgefonds.
Phänomen "Short Squeeze": Kleinanleger gegen Hedgefons
Laut der Analysefirma Ortex waren zuletzt 37 Prozent des Streubesitzes von Tilray-Aktien in sogenannten Short-Geschäften gebunden: Spekulanten setzten darauf, dass der Wert von Tilray inmitten des Cannabis-Hypes überschätzt sei und wieder fallen würde. Sie liehen sich deshalb die Aktien und verkauften sie sofort wieder. Wenn die Kurse in solchen Fällen wie erwartet fallen, können die Spekulanten die Aktien kurz vor Ende des Leihgeschäfts günstiger zurückkaufen, und der Kursunterschied abzüglich der Leihgebühr ist ihr Gewinn.
Doch genau diese Art von moralisch zweifelhaftem Geschäft wollen viele Kleinanleger des Forums "WallStreetBets" unterwandern: Treiben sie den Wert einer Aktie in die Höhe, können Shortseller gewaltige Verluste machen. Denn sie müssen die verliehenen Aktien dann teurer wieder kaufen - und das treibt deren Wert nochmals in die Höhe. Das Phänomen heißt "Short Squeeze" und war bei GameStop zu beobachten. Der Hedgefonds Melvin Capital musste Kredite über 2,75 Milliarden Dollar von anderen Fonds aufnehmen: Die Kleinanleger hatten Melvin wohl an den Rande des Untergangs gebracht.
Neuer Coup der Internet-Guerilla mit den Cannabis-Aktien?
Allerdings bezweifeln Experten, dass ihnen etwas Vergleichbares nochmals gelingen kann. Denn nach dem GameStop-Debakel haben sich vermutlich längst professionelle Hedgefonds in das Online-Forum der Internet-Guerilla eingeschlichen, versuchen die Kommunikation zu beeinflussen oder von den Hypes der Kleinanleger selbst zu profitieren. Zudem ist die Broking-App "Robinhood", über die die Kleinanleger ihre Geschäfte abwickeln, Partner des Hedgefonds Citadel, der alle Informationen über die Geschäfte nutzen kann - so profitiert also ausgerechnet ein Hedgefonds mit.
Und selbst wenn der Internet-Guerilla mit den Cannabis-Aktien nochmals ein Coup gelingen sollte: Die einzelnen Käufer können dabei auch gewaltig verlieren. Wie bei GameStop: Da verdiente sich manch einer eine goldene Nase, etwa ein 14-jähriger Berliner, der Aktien für 15.000 Euro kaufte und für 260.000 Euro wieder abstieß. Aber er hatte eben den richtigen Zeitpunkt zum Verkauf gewählt, bevor die Kurse der bizarr überbewerteten Aktie massiv fielen. Andere Kleinanleger, die die Aktie hielten, machten hohe Verluste.
Nur 450 Millionen Umsatz: Cannabis-Unternehmen ist überbewertet
Und auch Cannabis-Aktien werden irgendwann sinken, wenn ihr Wert künstlich in die Höhe getrieben wird. Die "Wirtschaftswoche" verweist etwa darauf, dass das derzeit am höchsten bewertete Cannabis-Unternehmen Canopy Growth an der Börse 15 Milliarden wert ist, aber gerade mal geschätzte 450 Millionen Dollar Umsatz machen wird - sprich: Es ist überbewertet. Wer also mit Cannabis-Aktien reich werden möchte, sollte einen klaren Kopf bewahren und nüchterne Entscheidungen treffen. Keinesfalls sollte man in ein Produkt investieren, das man kurz zuvor geraucht hat.
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