Mitarbeiterin bei Schlecker: „Ich habe Angst bei der Arbeit“
Wer auf seine Rechte pocht, hat’s schwer. In den Filialen der Drogeriekette Schlecker herrscht giftige Atmosphäre – vor allem für Betriebsrätinnen. Die AZ dokumentiert vier Fälle.
Wenn Silvia B.* über ihre Arbeit spricht, verdunkeln sich ihre Augen. „Ich habe kein Gehalt, keine Stelle, nichts“, sagt die 40-jährige Augsburgerin. Seit neun Jahren arbeitet sie bei Schlecker – bis sie 2009 in den Betriebsrat gewählt wurde. Seitdem bekommt sie kein Gehalt mehr. „Wenn, kommt nur ein verminderter Lohn“, sagt Silvia B., die durch die Schikane schwere Depressionen bekam. „Der Psychologe kennt fast alle Schlecker-Mitarbeiter des Ortes“, sagt sie.
Sechs Monate war sie deshalb arbeitsunfähig. Die Depressionen kamen durch das Mobbing bei der Arbeit, attestierte ihr ein Psychologe. So wurde die Alleinerziehende in eine Filiale versetzt, die zwei Tage später geschlossen wurde – Silvia B. stand ohne Arbeit da, wortwörtlich von heute auf morgen. Denn eine neue Stelle zögerte der Konzern bislang heraus. „Im Personalbüro ist keiner für mich zuständig“, sagt Silvia B. Genau wie für ihren Lohn. Den hat die Augsburgerin seit Monaten nicht erhalten. Silvia B.: „Ich kann mir frisches Obst und Gemüse nicht mehr leisten. An manchen Tagen kämpfe ich ums Überleben.“
Sie ist nicht die Einzige in Augsburg und im Landkreis München: Zahlreiche Schlecker-Mitarbeiter werden schikaniert, bis sie kündigen, oder sie werden aus fadenscheinigen Gründen gekündigt. Besonders hart scheint es die Verkäufer zu treffen, die sich im Betriebsrat engagieren. Lohnausfall, Urlaubsverweigerung, Abmahnungen und immer wieder psychischer Druck. „Ich erlebe eine Schikane, wie ich sie mir nie vorstellen konnte“, sagt Inge Ch., die Betriebsrats-Vorsitzende.
Für Inge Ch. begann der Albtraum mit der Betriebsratswahl am 11. Mai 2009: „Im Juni wurde mein Gehalt vom Mai rückwirkend gestrichen, das vom Juni gleich dazu“, sagt sie. Knapp 6000 Euro stehen bis heute aus – 100 Prozent ihres Lohns. „Wir werden systematisch mürbe gemacht“, sagt Ch. Auch sie war schon fristlos gekündigt, weil sie angeblich abgelaufene Babynahrung im Regal übersehen hatte. „Das ist mir untergeschoben worden“, sagt Inge Ch. Sie klagte sich in ihre Stelle ein, das Mobbing ging weiter, schlimmer als zuvor. Dennoch: Woanders arbeiten will die 45-Jährige nicht. „Ich mag meinen Job.“
Schlecker wird seit acht Monaten umstrukturiert: Chef Anton Schlecker schließt Filialen, eröffnete ein paar hundert Meter weiter so genannte „Schlecker XL“-Geschäfte (siehe Kasten). Der Vorteil für den Konzern: Langjährige, teure Mitarbeiter konnten durch günstige Arbeiter einer Zeitarbeitsfirma ersetzt werden. Bis heute arbeiten diese für 6,50 Euro pro Stunde – die Hälfte des regulären Lohns. Weniger Umsatz soll der Grund für diese Sparmaßnahmen sein. „Das, obwohl Schlecker keine massiven Verluste macht, im Ausland sogar enorme Investitionen tätigt“, sagt Marina Mörsdorf von der Gewerkschaft Verdi. Sie glaubt, dass es auch künftig unrechtmäßige Kündigungen geben wird.
„Schlecker will in diesem Jahr noch tausende Mitarbeiter auf die Straße setzen“, sagt auch Diakon Erwin Helmer. Er betreut die Betriebsseelsorge in Augsburg. Inge Ch. und ihre Kolleginnen haben hier Asyl gefunden: Ein Tisch mit Stühlen, Papier, Stiften, ein Kopierer, Briefmarken, Telefon. „Bei Schlecker mussten wir Telefone und Faxe einfordern“, sagt Inge Ch. „Damit gelten wir schon als unbequem.“ Die Strafe: Nur Mitarbeiter, die sich leise verhalten, nicht klagen, werden an XL-Filialen empfohlen – Betriebsräte fallen fast automatisch durch das Raster. Sie bekommen statt Versetzungen eine Abmahnung. „Betriebsrätinnen werden gezielt abgemahnt“, sagt Diakon Helmer. „Vorläufiger Rekord sind 28 Abmahnungen an eine Frau, alle völlig willkürlich.“
Sechs Abmahnungen hat auch Corinna S.* erhalten. Eine wegen einer Spinnwebe im Keller. Seitdem wartet die 36-jährige Corinna S. auf ihre Kündigung wegen einer Nichtigkeit. „Ich bin an meinen Grenzen, ich habe Angst bei der Arbeit“, sagt Corinna S. Auch, weil in einer Filiale im Raum München eine Kollegin Opfer eines bewaffneten Raubüberfalls wurde. „Die musste am Ende noch beweisen, dass ihr die Knarre an die Schläfe gehalten wurde, und dass nicht sie das Geld aus der Kasse genommen hatte.“
Kommuniziert werde bei Schlecker sowieso kaum etwas. „Dass ich in einer Filiale in Fürstenfeldbruck anfangen soll, wurde mir über ein Post-it mitgeteilt“, sagt Corinna S. Dabei gab es in Augsburg eine freie Stelle – doch die wurde der allein erziehenden Mutter verweigert. Seitdem pendelt Corinna S. täglich 70 Kilometer. Benzingeld zahlt Schlecker nicht. Ihr elfjähriger Sohn isst abends allein. „Ich schaffe es nicht pünktlich heim“, sagt Corinna S. „Ich enttäusche meinen Sohn immer wieder.“
Enttäuscht ist Martina M.* nicht mehr. „Nur noch wütend“, sagt die 45-jährige Schlecker-Verkäuferin. Als Betriebsrätin bekam sie eine Strafanzeige wegen Manipulation. „Wir sind nur in die Filialen gefahren und haben die Mitarbeiter über ihre Rechte aufgeklärt“, sagt Martina M. Oft komme es vor, dass Filialleiter ihre Mitarbeiter einschüchtern, damit keine Verstöße gemeldet werden.
Unbequemen oder teuren Angestellten werde oft Diebstahl unterstellt. „Wir müssen jeden Tampon vom Chef abzeichnen lassen“, sagt Martina M. Wo kein Etikett mit Unterschrift drauf klebt, das könnte gestohlen sein. Martina M. lässt seit ein paar Monaten Jacke und Handtasche im Auto. „Sonst wird mein abgenutzter Kajal noch als Diebesgut identifiziert.“
Die Firma Schlecker war bis gestern 16 Uhr auf mehrmalige Anfrage der AZ zu keiner Stellungnahme zu den massiven Vorwürfen bereit.
* Name von der Redaktion geändert.
Anne Kathrin Koophamel
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