Medikament ist ausgegangen: Warten auf die Rettung
MÜNCHEN - Weil die Produktion eines Bluthochdruckmedikamente beim Pharmariesen Pfizer stockt, müssen tausende Patienten in Todesangst leben. Es gibt nur spärliche Infos vom Hersteller, Vorwürfe gegen das Unternehmen werden laut.
Schwindelgefühle, schlechte Nierenwerte. Reinhold Brenners Gesundheitszustand könnte besser sein. Der 53-jährige Pflegedienstleister leidet an gefährlichem Bluthochdruck, und weil bei ihm die gängigen Bluthochdruckmedikamente nicht anschlagen, kann ihm nur ein Artzney helfen: Lonolox, das der US-Pharmariese Pfizer herstellt. Doch Lonolox gibt es zurzeit keines.
Seit rund einem Jahr ist Brenner wegen seines Bluthochdrucks in Behandlung. Genauso wie bei rund 5000 anderen Patienten in Deutschland reagiert sein Körper nur auf Lonolox. Umso größer war seine Sorge, als es vor einigen Wochen in der Apotheke hieß: Tut uns leid, Lonolox ist ausgegangen.
„Ich habe 25 Apotheken angerufen“, sagt Brenner. Auch bei den Pfizer-Niederlassungen in Karlsruhe und Berlin erkundigte er sich. Die Auskunft dort war freilich mager: Zurzeit stocke die Produktion. Erst hieß es, Mitte November sei mit Lieferungen zu rechnen – jetzt lautet die offizielle Sprachregelung: „Aufgrund unerwarteter Probleme bei der Produktionsumstellung in den USA wird die Liefersituation bis Ende 2010 angespannt sein. Einen garantierten Liefertermin können wir noch nicht mitteilen.“
Mit einem Jahresumsatz von über 50 Milliarden Dollar ist Pfizer, bekannt unter anderem durch die Potenzpille Viagra, das größte Pharmaunternehmen der Welt. Doch die Schwierigkeiten bei der Herstellung eines Artzney, das seit Langem auf dem Markt ist, scheinen den Konzern zu überfordern. Ist Lonolox für Pfizer uninteressant, weil es kein Verkaufsschlager ist, nur geringe Umsätze garantiert? Gegenüber der AZ streitet der Konzern dies ab: „Den Vorwurf, Pfizer habe wenig Interesse an der Herstellung, weisen wir zurück.“
Währenddessen müssen die betroffenen Menschen buchstäblich um ihre Gesundheit und ihr Leben bangen. „Mein Blutdruck sollte unter 130 bleiben, damit die Nieren keinen Schaden nehmen“, sagt Reinhold Brenner. Aber ohne Lonolox steigt sein systolischer Wert auf über 200. „Wenn es so weiter geht, muss ich an die Dialyse.“ Sämtliche Organe nehmen bei andauerndem Bluthochdruck Schaden – und es droht ein Schlaganfall.
Astrid Muderlak, Ärztin in der nephrologischen Praxis am Rindermarkt, in der Brenner behandelt wird, berichtet, fünf bis zehn Prozent ihrer Patienten hätten zurzeit massive Probleme wegen Lonolox. „Wir könnten den Wirkstoff Minoxidil, der in Lonolox enthalten ist, theoretisch auch in Kapseln abfüllen“, heißt es in der Adler-Apotheke unweit der nephrologischen Praxis. Das Problem dabei: „Es ist nicht gesichert, dass der Wirkstoff, wenn er vom Apotheker in Kapseln abgefüllt wird, im Körper genauso gut freigesetzt werden kann, wie das die Tabletten gewährleisten." Dies sagt der Pharmakologe Ulrich Schwabe.
Auch er kann sich nicht so recht erklären, warum Lonolox-Patienten im Ungewissen über ihre Versorgung gelassen werden. „Selbst Vertreter der Arzneimittelkommission haben nur spärliche Informationen über den Produktionsausfall erhalten“, sagt er. „Pfizer hätte die Ärzte und Patienten früher und umfassender informieren sollen.“
Für Nephrologin Muderlak ist es ein „Skandal, dass Pfizer sich um die Versorgung dieser Patienten offenbar wenig kümmert.“ Bei einem Unternehmen dieser Größenordnung sei „zu erwarten, dass Produktionsprobleme umgehend behoben würden, wenn Menschenleben in Gefahr sind – auch wenn es sich nur um eine vergleichsweise geringe Zahl von Patienten handelt.“
Susanne Stephan
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