MAN – die Heimat der Maschinen-Riesen

250 Jahre MAN - das ist die Geschichte bahnbrechender Innovationen; die Historie jener Firma, die uns die Industrie brachte. Aber auch Schauplatz einer der größten menschlichen Tragödien der Geschichte - ein AZ-Spezial.
von  Abendzeitung
Ebenfalls aus der Schmiede von MAN: Eine Armprothese, wie sie vor dem Zweiten Weltkrieg produziert wurde.
Ebenfalls aus der Schmiede von MAN: Eine Armprothese, wie sie vor dem Zweiten Weltkrieg produziert wurde. © MAN

250 Jahre MAN - das ist die Geschichte bahnbrechender Innovationen; die Historie jener Firma, die uns die Industrie brachte. Aber auch Schauplatz einer der größten menschlichen Tragödien der Geschichte - ein AZ-Spezial.

VON HEINER SIEGER.
Keine andere Firma, außer vielleicht Krupp, hat die Industrialisierung Deutschlands derart geprägt wie MAN. Auch wenn der Firmenname nach der 1898 erfolgten Fusion der „Vereinigten Maschinenfabrik Augsburg“ und der „Maschinenbaugesellschaft Nürnberg“ zur „Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg“ bayerische Wurzeln vermuten lässt: Die Wiege des Unternehmens ist eine 1758 gegründete kleine Erzgießerei-Hütte im Ruhrgebiet, später bekannt als „Gutehoffnungshütte“.

Die jetzt 250-jährige Geschichte der MAN AG ist gepflastert mit spannenden Histörchen, Skandalen und Erfolgen. Denn was in der Öffentlichkeit kaum bekannt sein dürfte: Der heute in München ansässige Konzern ist die Heimat der Maschinen-Riesen – von Lokomotiven über Turbomotoren bis zu Kraftwerken. Aber er ist auch Schauplatz einer der größten menschlichen Tragödien – dem Schicksal des großen Erfinders Rudolf Diesel.

Konstruktion eines „rationellen Wärmemotors“

Im März 1892 ging bei der Maschinenfabrik Augsburg das Schreiben eines Oberingenieurs aus Berlin ein. Darin ersuchte der Schreiber die ehrenwerte Direktion, den Bau eines neuen, von ihm konzipierten Motors zu übernehmen. Beigefügt war eine längere Abhandlung über die Konstruktion eines „rationellen Wärmemotors“. Der Antragsteller Rudolf Diesel legte darin ein neues Verfahren zur Verbesserung des Wirkungsgrads von Verbrennungskraftmaschinen dar, für das er wenige Wochen vor der Anfrage ein Patent beantragt hatte.

Diesels Erfindung beruhte auf der genialen Idee, im Zylinder des Motors Luft zu verdichten und den Kraftstoff erst anschließend zuzuführen, um ihn durch die Verdichtungshitze zur Selbstentzündung zu bringen. Experten spotteten: Der Ex-Student des Münchner Professors Carl von Linde sei kein Motorenfachmann, sondern nur ein „Eismaschineningenieur“.

Patentstreitigkeiten, Produktions-Desaster und Ungeschick

Doch nachdem Diesel prophezeit hatte, dass sein Motor die vorherrschenden Dampfmaschinen ersetzen würde, war der damalige Firmen-Chef Heinrich Buz nachdenklich geworden und unterstützte den jungen Ingenieur beim Bau eines Versuchsmotors. Fünf Jahre später stellte Professor Moritz Schröter von der Technischen Hochschule München ihn voller Stolz dem Verein Deutscher Ingenieure vor und erklärte, „dass wir es hier mit einer marktfähigen, in allen Einzelheiten vollkommen durchgearbeiteten Maschine zu tun haben“.

Doch ständige Patentstreitigkeiten, ein Produktions-Desaster in der Motorenfabrik Augsburg sowie sein Ungeschick in persönlichen Finanzgeschäften führten bei Diesel ein Jahr nach diesem Triumph zu einem psychischen Zusammenbruch. Der Erfinder wurde für längere Zeit in eine Heilanstalt eingewiesen.

Obwohl sein Motor bereits weltweite Anerkennung erfuhr, blieb Diesel depressiv. In der Nacht vom 29. zum 30. September 1913 ging er bei einer Überfahrt von Antwerpen nach Harwich über Bord. Alle Indizien sprechen dafür, dass er Selbstmord begangen hat.

49 Jahre an der Spitze der Firma

Seine Schaffenszeit fällt in die Periode des prägendsten MAN-Chefs, des – später geadelten – Heinrich Buz. Während heute Topmanager die Firmen oft im Schnitt nach dreieinhalb Jahren wieder verlassen, führte er die Firma 49 Jahre. Als Buz 1864 als Direktor begann, hatte die Augsburger Maschinenfabrik 400 Arbeiter. Bei seinem Abschied im Jahr 1913 ließ er ein Großunternehmen mit mehr als 12000 Arbeitern zurück.

Bei seinem Amtsantritt standen die Erzeugnisse der deutschen Industrie noch im Ruf „billig und schlecht“ zu sein. Die Wiege der Industrie war England: Die wichtigsten industriellen Neuentwicklungen kamen Mitte des 19. Jahrhunderts von dort. Auch Buz ließ sich auf der Insel inspirieren, besuchte Fabriken und Gießereien. Und baute in Deutschland den einstigen Bergbau- und Hüttenbetrieb zielstrebig zum Industriekonglomerat um. Seine Arbeiter schmiedeten Lokomotiven, Waggons, Schienen und Brücken – und schufen damit die Infrastruktur für die Industrialisierung des aufstrebenden Landes.

Bahnbrechende Innovationen

Gleichzeitig förderte Buz Erfinder wie Carl von Linde, dessen Eismaschine er baute. Auch dessen Patent war eine Sensation. Denn vor allem die Brauereien konnten bis dahin ihr Lagerbier nur bei niedrigen Temperaturen brauen und im Sommer nur dürftig mit Natureis kühlen.

„Nachdem die Firma zunächst traditionell Dampfmaschinen baute, gelangte sie durch bahnbrechende Innovationen wie die Rotationsdruckmaschine, die Kältemaschine Carl von Lindes und Rudolf Diesels neuen Motor zu Weltruhm“, so der Berliner Historiker Johannes Bähr. „Wenn man heute von deutscher Wertarbeit spricht, dann sind es die MAN-Unternehmen, die diesen Begriff zuerst in die Welt getragen haben.“

Allerdings war MAN nach heutigen Maßstäben ein Gemischtwarenladen. Die Firma baute Theaterbühnen für die Festspielhäuser in München, Bayreuth und Oberammergau genauso wie die Bahnhofshallen in München, Frankfurt und Berlin sowie die kugelförmigen Gasometer, mit denen die deutschen Großstädte ab den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts großflächig versorgt wurden. „Die MAN-Ingenieure haben ganze Stadt- und Industrielandschaften geprägt, da sie der größte Ausrüster für diese Konstruktionen waren“, so Historiker Bähr.

"Halb Nürnberg zugepflastert mit Werkssiedlungen"

Auch das soziale Engagement der Firma war eine Pionierleistung in Bayern. Damals wie heute wurden gute Mitarbeiter und Ingenieure mit Extras wie Krankenkassen und Unterstützungssystemen geworben und umschmeichelt. So hatte der Standort Oberhausen den ersten Firmen-Kindergarten Deutschlands. „Und halb Nürnberg ist vollgepflastert mit Werkssiedlungen“, weiß Bähr.

Den Gemischtwarenladen von einst hat der heutige Firmen-Chef Håkan Samuelsson gründlich aufgeräumt. Heute konzentriert sich MAN auf die vier Kernbereiche Diesel, Ferrostahl, Nutzfahrzeuge und Turbo. Offensichtlich mit Erfolg: Vergangene Woche meldete der Konzern einen Rekordumsatz von 15,5 Milliarden Euro.

merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.