Kassenpatienten warten – selbst, wenn’s dringend ist
Verdacht auf Hautkrebs – für den Facharzt nicht immer ein Grund, einen gesetzlich Versicherten in die Sprechstunde zu bitten. Für die Mediziner sind kosmetische Eingriffe oft lukrativer
MÜNCHEN - Wer im Badezimmerspiegel ein verdächtiges Hautmal entdeckt, hätte gern einen Termin beim Hautarzt – und zwar schnell. Aber als gesetzlich versichertes Fußvolk ist das gar nicht so leicht.
Normalerweise hört der Patient in der Praxis zu allererst die Frage: „Wie sind Sie denn versichert?“ Wer dann sagt „gesetzlich“, muss sich auf lange Wartezeiten einstellen, ergaben Studien (siehe AZ-Info). Und wie ist die Situation in München?
Die Versorgung der Münchner mit Arztpraxen sei „rechnerisch gut“, heißt es bei der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern. „Im Notfall kommen Sie immer dran.“ Die AZ macht den Praxistest.
Ein AZ-Redakteur bittet Ende Juni bei Münchner Ärzten um einen dringenden Termin, Hautkrebsverdacht, der Hausarzt habe ihm geraten, sich an einen Fachmann zu wenden. Beim ÄrztePunkt in Pasing wird der Redakteur zuallererst nach einer Überweisung und der Praxisgebühr gefragt – daran lässt sich der Kassenpatient erkennen. Ungeachtet der Dringlichkeit ist dann „leider“ 24. Juli, 16 Uhr, der frühestmögliche Termin.
Eine Stunde später versucht es eine AZ-Kollegin bei der gleichen Praxis. Sie möchte nur zur Vorsorge, sagt sie, gibt sich aber als privat versichert aus. Ihr Termin ist trotz fehlender Dringlichkeit mehr als drei Wochen früher: Dienstag, 3. Juli, 9 Uhr.
Auch die anderen Praxen stellen unverblümt die Frage nach der Versicherung. Zweimal wird dem Redakteur trotzdem ein zeitnaher Termin angeboten. In zwei weiteren Fällen ist erst in einigen Wochen ein Platz im Wartezimmer frei. Woran liegt es, dass trotz rechnerisch guter Versorgung in München Termine bei bestimmten Fachärzten schwer zu bekommen sind?
Michael Leonhart von der AOK Bayern nennt bei Hautärzten für München einen Überversorgungsgrad von 139,7 Prozent, zu wenige gibt es also nicht. Doch gerade Hautärzte haben den Ruf, ihren Patienten gerne „Igel“-Leistungen anzubieten – individuelle Gesundheitsleistungen. Also lukrative kosmetische Eingriffe vorzunehmen wie das Entfernen auffälliger Äderchen. Sich zum Standardtarif um die Nöte der Kassenpatienten zu kümmern, ist wenig attraktiv.
Hat ein Arzt eine Kassenzulassung, muss er zwar auch eine bestimmte Zahl Sprechstunden für gesetzlich versicherte Patienten bereit halten, bei einer vollen Zulassung sind das 20 Stunden. Aber wird das auch kontrolliert? „An der Abrechnung lässt es sich erkennen“, heißt es bei der Kassenärztlichen Vereinigung. Dort hat man einen Tipp, wenn ein Patient keinen zeitnahen Termin erhält: den Hausarzt zu bitten, die Notlage deutlich zu machen.
Auch die Krankenkasse hilft, verspricht Leonhart von der AOK: „Es gibt so wenig Beschwerden, dass wir uns um jeden Fall kümmern können.“ Verbraucherschützer warnen vor falscher Bescheidenheit: Wer Schmerzen hat, sollte sie nennen, um die Dringlichkeit zu verdeutlichen. Wem das Bitten oder Drängen zu unangenehm ist, dem hilft das Internet: „In fünf Sekunden Ihr nächster Dermatologietermin in München“ verspricht die Webseite des achtköpfigen, Ärztepools goMedus. Termine, „für Sie reserviert“, schon am nächsten Tag, blinken dem User bunt entgegen. Kleine Einschränkung: Nur für Privatversicherte und Selbstzahler.
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