In die Pleite mit Lehman

MÜNCHEN - Mehr als 10000 deutsche Kleinanleger hatten in Papiere der US-Investmentbank Lehman Brother investiert. Nach der Pleite des Finanzinstituts sind die Papiere jetzt wertlos. Auf die beratenden Banken rollt eine Klagewelle zu.
MÜNCHEN Martha G. hat nie luxuriös gelebt. Sie war Hausfrau, zog den Sohn groß, verdiente in der Fabrik und der Bäckerei hinzu. Was übrig blieb, sparte sie. Im Februar wollte die 78-Jährige das Geld anlegen. Nun sind die 15000 Euro wohl futsch. Die Rentnerin ist Opfer der Pleite der US-Investmentbank Lehman.
Mehr als 10000 Bundesbürger, schätzen Experten, haben bei Lehman investiert. „Ich kann die Anrufe Geschädigter gar nicht mehr zählen“, sagt die Münchner Rechtsanwältin Daniela Bergdolt. Auch die Tübinger Kanzlei Tilp berichtet von über hundert Anfragen. Sie vertritt 50 Mandanten, darunter Martha G. Anwalt Andreas Tilp sieht seine Mandanten falsch beraten.
Auch Martha G.: Im Februar ging die Rentnerin zusammen mit Sohn Manfred zur örtlichen Sparkasse. Die Stammkundenbetreuerin riet zu Lehman-Anleihen: fünf Prozent Zins in den ersten vier Jahren, im fünften Jahr sollte die Zinshöhe abhängig von der Entwicklung von fünf Dax-Unternehmen sein. „Die Bonität des Emittenten ist gut“, sagte die Kundenbetreuerin. Martha G. und ihr Sohn vertrauten ihr. An Risiko lag ihnen nichts, das Geld war für die Enkel und für Notfälle gedacht. „Eine fünfprozentige Verzinsung ist ja nicht die Welt“, sagt Manfred G. Was die Bank der betagten Anlegerin verschwieg, waren die jährlichen Provisionen, die die Sparkasse von Lehman für den Abschluss des Vertrags mit Martha G. bekommen sollte. Als die Rentnerin und ihr Sohn von der Pleite des Investmenthauses hörten, „wussten wir gar nicht, dass es auch uns trifft“.
"Von sich aus hat sich die Bank nicht gemeldet"
Zwei Wochen nach dem Bankrott rief Manfred G. bei der Beraterin an. „Von sich aus hat sich die Sparkasse nicht gemeldet“, sagt der Frühpensionär ärgerlich. Seine Mutter, die 1100 Euro Rente bekommt, macht sich Vorwürfe, dass sie sich auf die Anleihen eingelassen hat: „Normalerweise hätte sie einen Sparbrief genommen“.
Das Schlimme sei, sagt Anwältin Bergdolt, die auch die Aktionärsschützer-Vereinigung DSW vertritt, dass vielen Geschädigten die Lehman-Papiere von Bankberatern erst heuer angepriesen wurden. „Mit dem Hinweis, sie seien besonders sicher in solchen Krisenzeiten.“
Nun droht den beratenden Banken eine Klagewelle. Martha G. etwa hat zwar von ihrer Sparkasse einen Brief bekommen. Man wolle sich darum kümmern, dass die Gläubiger etwas von ihrem Geld sehen. Martha G. brauche nur zu unterschreiben. Doch Familie G. vertraut jetzt lieber ihrem Anwalt. Die Kanzlei will es außergerichtlich versuchen. Wenn das nicht wirke, so Andreas Tilp, „dann klagen wir“.
Bei Falschberatung gibt es Schadenersatz
Anleihen und Zertifikate, die die US-Investmentbank Lehman ausgegeben hat, sind wegen der Pleite der Bank derzeit so gut wie wertlos. Anleger können lediglich darauf hoffen, dass sie aus der Insolvenzmasse noch einen Teil des Geldes zurückbekommen. Es sei denn, sie wurden bei der Anlage von ihrer Bank falsch beraten: „Dann haben sie einen Schadenersatz-Anspruch gegen die Bank“, sagt Aktionärsschützerin Daniela Bergdolt. Eine Falschberatung liegt dann vor, wenn die Beratung dem Anleger und dem Anlageprodukt nicht gerecht wurde.
Knackpunkt bei den Lehman-Papieren: Den Anlegern wurden sie von den Beratern meist als sichere Produkte verkauft. „Das Emittenten-Risiko wurde dabei von den Beratern oft gar nicht erwähnt“, sagt Bergdolt. Damit ist gemeint: Geht die Bank pleite, ist auch das Papier nichts mehr wert. Problem: Die Kunden müssen nachweisen, dass ihnen das verschwiegen wurde. Hilfreich kann ein Beratungsbogen sein, der während des Gesprächs ausgefüllt wurde. Gibt es den nicht, ist ein Zeuge nötig, der bei dem Gespräch dabei war.
Elena Panagiotidis, Andreas Jalsovec