Im Griff der Hersteller

Produkte holen sich eigenständig Updates – und werden dadurch nicht unbedingt besser
Susanne Stephan |
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MÜNCHEN Das „Minitrue“, das „Ministerium für Wahrheit“ ist unerbittlich. Alle Zeitungsartikel von früher, die nicht zur Parteimeinung passen, werden aus den Archiven getilgt oder umgeschrieben. In George Orwells Roman „1984“ entscheidet eine Zentralinstanz, was die Menschen lesen dürfen und was nicht.

Das Jahr 1984 ist längst vorbei, George Orwell tot, die Überwachungsbehörde NSA irritiert viele Bürger durch ihren ungenierten Zugriff auf Datenleitungen. Gleichzeitig müssen Verbraucher erfahren, dass auch Hersteller-Firmen über regelmäßige Updates Zugriff auf ihre Besitztümer nehmen. Amazon beispielsweise: Der Online-Händler erlaubt sich schon mal, einzelne Werke aus den digitalen Bibliotheken seiner Kunden zu löschen – auch, wenn diese dafür ordnungsgemäß gezahlt hatten.

Ironie des digitalen Geschäftslebens: Ausgerechnet „1984“ und „Die Farm der Tiere“, ebenfalls ein Roman von George Orwell, fielen der Löschungsaktion zum Opfer. Grund waren ungeklärte Urheberrechte. Der Fall liegt schon eine Weile zurück, aber auch neuere Zugriffe von Firmen auf Produkte in Kundenbesitz zeigen, wie angreifbar Verbraucher geworden sind.

Das Einfallstor für Übergriffe sind Produkt-Updates. Ob Fernseher, Smartphones, Navigationsgeräte, E-Books oder die Software des Autos – kaum ein High-Tech-Gerät läuft ohne regelmäßigen Datentransfer mit seinem Hersteller. In der Regel ist dies zum Nutzen der Kunden: Übers Internet holen sich die Produkte selbsttätig Softwarepakete, die Schutz gegen Hacker-Attacken bieten oder Konstruktionsfehler ausmerzen. Aber per Update kann die Funktionalität von Produkten auch eingeschränkt werden.

Der Hersteller von Elektro-Autos Tesla beispielsweise entschied sich vor kurzem, die „Smart Air Suspension“ in seinen Autos zu deaktivieren. Dieses Feature für 2250 Dollar legte den Wagen bei höheren Geschwindigkeiten automatisch ein wenig tiefer. Offensichtlich kamen den Ingenieuren des Herstellers aber Sicherheitsbedenken, nachdem Autos Feuer gefangen hatten. Tesla setzte die Funktion per Update deswegen erst einmal außer Kraft. Der Herstller kündigte lediglich für die Zukunft ein weiteres Update an, dass den Mangel wieder beheben werde.

Oder Google: Der Internetkonzern verbat den Käufern seiner Test-Modelle der Datenbrille „Glass“, die Hightech-Sehhilfe weiterzuverkaufen. Halte sich der Kunde nicht an die Vorgabe, werde „Glass“ per Update deaktiviert – Eigentumsrecht hin oder her.

Oder Apple: Im November kam das Update für die Bürosoftware iWork office. Super, denkt sich der Kunde – sogar umsonst. Denn die neue Version wird ja kaum weniger drauf haben als die alte. Schnell wurden die Nutzer eines besseren belehrt: Das Update lässt Funktionen vermissen, für die Kunden in der vorausgehenden Version bezahlt haben. Die Ursache: Wahrscheinlich Zeitdruck bei der Umstellung auf die 64-bit-Version. Immerhin verspricht der Konzern, nach und nach in weiteren Updates die Möglichkeiten der alten Version wieder bereitzustellen.... Der Kunde hofft. Und wartet. Denn er ist von der Gnade der Hersteller abhängig – der Nachteil der Daten-Nabelschnur, die seine Geräte mit den Konzernen verbindet, und die nie gekappt wird. jr/sun

 

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