Finanzhaie in der Pflege

Die Erwartungen an den Bereiche Pflege sind groß. Doch viele Heime sind der Pleite nahe. Im Pflegemarkt liegen Himmel und Hölle dicht nebeneinander.
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Pflegekraft mit Seniorin: Anleger wittern das große Geld – doch vielen Häusern sitzt die Heimaufsicht im Nacken, weil mangels finanzieller Reserven die gesetzlichen Mindeststandards nicht eingehalten werden.
ap Pflegekraft mit Seniorin: Anleger wittern das große Geld – doch vielen Häusern sitzt die Heimaufsicht im Nacken, weil mangels finanzieller Reserven die gesetzlichen Mindeststandards nicht eingehalten werden.

MÜNCHEN - Die Erwartungen an den Bereiche Pflege sind groß. Doch viele Heime sind der Pleite nahe. Im Pflegemarkt liegen Himmel und Hölle dicht nebeneinander.

Michael Treichl ist nicht zu sprechen. Heute nicht, genauso wie letzte Woche nicht und wie morgen wahrscheinlich auch nicht. Er hat wichtige Termine, muss Geld unter die Leute bringen. Für wen er sich interessiert, der könnte sich eigentlich glücklich schätzen. Denn Treichl ist Geschäftsführer von Audley Capital mit Sitz auf der britischen Kanalinsel Guernsey, dessen Fonds 700 Millionen Dollar verwalten.

Bei Curanum, einem Münchner Betreiber von Pflegeeinrichtungen, ist Treichl eingestiegen. Vor Audley Capital kaufte Aktien von Curanum schon Guy Wyser-Pratte, ein Mann, der gerne zweistellige Renditen innerhalb weniger Monate sieht. Ein Glück fürs Unternehmen? Damals hörte sich Curanum-Vorstand Bernd Rothe fast so an, als würden ihm die Erwartungen anspruchsvoller Investoren Angst machen.

Die Pflege – eine Goldgrube

Immer mehr Investoren aus dem angelsächsischen Bereich würden bei ihnen anklopfen, berichtet Stefan Terkatz, Geschäftsführer der Unternehmensberatung Admed. „Die sehen, dass der Pflegemarkt in Deutschland wächst und wächst.“ Seniorenheime erscheinen den Profit-Profis in einer vergreisenden Gesellschaft als lukrativ. Und wer in dem zersplitterten Markt als Erstes ein paar hundert oder tausend Heime schlucken könne, sichert sich ein kommodes Auskommen – so das Kalkül der Investoren.

Die Pflege – eine Pleitebranche

„Bei mir auf dem Schreibtisch stapeln sich die Anfragen von Betreibern, die verkaufen wollen“, berichtet dagegen Bernd Rothe von Curanum. Er ist täglich mit den Widrigkeiten im Pflegegeschäft konfrontiert. So groß sei das Angebot an Heimen, die lieber heute als morgen übernommen würden, dass er kaum mit dem Prüfen nachkomme. Und immer mehr unter den angebotenen Häusern seien schon pleite oder von der Insolvenz bedroht.

Toilette auf dem Gang, keine Bäder

Jedes siebte Pflegeheim in Deutschland steht vor dem finanziellen Aus, schätzen Experten. Der Grund: Viele Einrichtungen sind überaltert, jahrzehntelang wurde nichts investiert. „Ich schätze, dass in 50 Prozent der Heime nicht jedes Zimmer eine eigene Toilette hat“, sagt Rothe. In vielen Häusern müssten sich die Bewohner von sechs bis sieben Zimmern ein WC auf dem Gang teilen, Drei- bis Sechsbett-Zimmer seien keine Seltenheit. Die vorgeschriebenen Pflegebäder auf jeder Station, wie sie vorgeschrieben seien, suche man oft umsonst.

Zustände, die die Behörden durchgehen ließen, solange die Heime voll waren und lange Wartelisten hatten. Mittlerweile ist das vielerorts anders – und die Heimaufsicht sitzt den Geschäftsführern der Einrichtungen im Nacken.

300 Prozent Rendite

Eine Situation, die nach schnellem Geld schreit – und Fusionen beschleunigt. Curanum etwa wuchs seit der Gründung 1981 von 13 Häusern auf jetzt 68 Einrichtungen. Aktionäre, die den richtigen Zeitpunkt erwischten, profitierten vom Wachstum und dem plötzlichen Interesse der Finanzwelt. Wer sich etwa 2004 Curanum-Aktien zulegte und sie Ende 2005 verkaufte, konnte zwischen 250 und 300 Prozent Gewinn einstreichen. Der Pflegemarkt, eine Goldader? Noch ist die Branche den Beweis ihrer Ertragschancen schuldig.

Auf dem Weg zum Zwei-Klassen-Altenheim

Noch gilt der „Sozialismus in der Pflege“, sagt Curanum-Vorstand Bernd Rothe. Das bedeutet: Die Heime dürfen ihren Bewohnern nur einen einheitlichen Standard anbieten. Abstufungen innerhalb eines Hauses seien nicht erlaubt. Diejenigen, die die Kosten aus eigener Tasche bezahlen, werden genauso versorgt, wie diejenigen, bei denen das Sozialamt einspringen muss. Auch Zuschläge innerhalb eines Hauses für eine Unterbringung im Ein-Bett-Zimmer sind nicht erlaubt.

Schon heute gibt es freilich Residenzen, in denen betuchte Senioren eine komfortable Betreuung genießen. Werden sie pflegebedürftig, hilft der hauseigene ambulante Pflegedienst – und berechnet der gesetzlichen Pflegekasse dafür den jeweiligen Kostensatz.

Branchenexperten gehen davon aus, dass sich das Ein-Klassen-Modell in der Pflege nicht lange halten wird. Ihre Erwartung: Wahrscheinlich wird der Gesetzgeber auf lange Sicht im Pflegeheim ähnlich wie im Krankenhaus einen Mindeststandard festlegen, aber Zusatzleistungen zulassen, die privat bezahlt werden müssen.

Susanne Stephan

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