Fehlkäufe im Schlussverkauf: Geiz macht doof
Deutsche Kunden verschwenden pro Jahr 1,6 Billionen Euro im Schlussverkauf. Schuld sind Wahrnehmungsmuster im Gehirn. Nur wer bar bezahlt, hat eine Chance, ungeschoren zu bleiben.
MÜNCHEN - Wieder einmal beim Einkaufen gewesen, wieder einmal mit vollen Tüten zurückgekommen – und wieder einmal folgt auf den Schnäppchenrausch die Ernüchterung: Die spottbillige Jeans ist streng genommen eine Größe zu groß, das Design der herabgesetzten Bluse eine Spur zu bunt. Ein Drittel aller Menschen hat im Schlussverkauf schon einmal ein Kleidungsstück gekauft, das nicht passt, ergab eine Studie im Auftrag des Gutschein-Portals Topgutscheincode.de. Befragt wurden knapp 3000 Personen.
Im Schnitt, so das Ergebnis, hatten die Teilnehmer drei Schlussverkaufsartikel im Jahr erstanden, die sie im Nachhinein als Fehlkauf betrachten. Hochgerechnet auf die Gesamtbevölkerung ergibt sich bei einem Preis von acht Euro pro Artikel die fantastische Summe von 1,6 Billionen Euro, die jährlich im Schlussverkauf verschwendet werden.
Dass Verbraucher angesichts der Rabattzeichen bei Sonderverkaufsaktionen unsinnige Ausgaben tätigen, liegt an der Reizverarbeitung im Gehirn, erläutert der Münchner Marken-Psychologe Hans-Georg Häusel (siehe Interview). Rabattschilder funktionieren ähnlich wie Marken-Logos: Sie sind im Gehirn als Erregungsmuster abgespeichert, die automatisch bestimmte Gefühle wie Sicherheit oder emotionale Wärme abrufen. Zwar können Verbraucher diese Wahrnehmungsstrukturen umgehen, indem sie nachdenken. Doch bedarf das einer bewussten Entscheidung – und die vermeidet das Gehirn normalerweise, um Energie zu sparen. Nicht nur die Kunden bereuen diesen Kaufreflex oft. Auch Schnäppchen-Anbieter profitieren nicht unbedingt von den vermeintlichen Vorzugsangeboten. Der prominenteste Beleg für die Krise der Schnäppchen-Manie ist das Rabattportal Groupon.
Es vermittelt Schnäppchenjägern Gutscheine und kassiert dafür von den Anbietern Provision. Der Wert des US-Unternehmens wird mittlerweile mit bis zu 30 Milliarden Dollar angesetzt, die Umsätze sind berauschend – doch den geplanten Börsengang musste Groupon erst einmal verschieben. Der Grund: Die hohen Kosten für die Kundengewinnung sorgen auch bei wachsenden Umsätzen für hohe Verluste. Auch zahlreiche Groupon-Nachahmer sind desillusioniert. Die Bereitschaft mancher Dienstleister und Einzelhändler, ihre Produkte via Schnäppchenportal verbilligt unters Volk zu bringen, bröckelt. Schnäppchen-Kunden sind illoyale Kunden, merken die Anbieter vor allem in Europa. Sobald die Sonderaktion vorbei ist und sie volle Preise zahlen sollen, lässt die Kauflust abrupt nach.
Das sagt der Diplompsychologe: Glücksgefühle, wenn’s mehr gibt
Wie Symbole den Stoffwechsel im Kopf beeinflussen.
AZ.: Warum setzt bei vielen Verbrauchern der Verstand aus, wenn sie ein Rabattzeichen sehen?
HANS-GEORG HÄUSEL: Rabattaktionen sprechen ein Belohnungssystem im Gehirn an. Immer dann, wenn mehr versprochen wird, als wir erwartet hatten, wird dort der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet. Im Hirnscan zeigt sich außerdem, dass Symbole für Rabattaktionen den so genannten anterioren cingulären Cortex deaktivieren. Das ist eine Art Schalter, der das Großhirn bei Konflikten einschaltet und dazu führt, dass wir uns beispielsweise fragen, ob wir in der Wüste tatsächlich eine Unterwasser-Taschenlampe brauchen. Dieser Schalter wird bei Sondersverkaufsaktionen außer Betrieb gesetzt. Dazu kommt, dass beim Schlussverkauf viele Menschen gleichzeitig auf Schnäppchenjagd gehen. Das weckt Neid und – besonders, wenn die Stückzahl begrenzt ist – das Bedürfnis, dem anderen auf der Jagd etwas wegzuschnappen.
Was können Kunden tun, um sich trotzdem unter Kontrolle zu halten?
Möglichst alles mit Bargeld bezahlen, denn das ist schmerzhaft. Und sie können versuchen, sich selbst zu disziplinieren. Alles andere hilft nicht, es sei denn, man gehört zu den asketischen Typen, die 32 Mal überlegen, ob sie sich etwas kaufen sollen, um es dann doch nicht zu tun.
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