Eurokrise: Konzerne melden schlechte Zahlen

Audio von Carbonatix
München - Überstunden abbauen bei MAN: Urlaub ist ja eine schöne Sache – ungeplanter Urlaub allerdings nicht immer. Der eine oder andere Mitarbeiter des Münchner Brummibauers könnte im August für zwei Wochen in die Ferien geschickt werden. Das Unternehmen zieht die Notbremse – wegen 89 Millionen Euro Verlust im zweiten Quartal. In München und in Salzgitter fährt MAN zwei Wochen lang die Schichten von zwei auf eine zurück. Eine Prognose für das Gesamtjahr 2012? Schwierig. Kurzarbeit wegen der Eurokrise?
Die Wirtschaftskrise in Mittel- und Südeuropa setzte MAN zu. Zu wenige LKWs wurden verkauft, allein in Europa blieben rund 9000 auf dem Hof stehen. Diese müssen nun erstmal verkauft werden. Deswegen wird die Produktion heruntergefahren und es gilt laut MAN-Chef Georg Pachta-Reyhofen ein Einstellungsstopp. Er will Leiharbeiter nach Hause schicken, die Werksverträge genau prüfen. Eine ungute Situation für die Belegschaft. Sie ist Achterbahnfahrten gewohnt: 2010 musste MAN Kurzarbeit anmelden. Dann kam der Aufschwung auf dem Brummimarkt, 1000 Mitarbeiter wurden in München eingestellt. Derzeit arbeiten rund 8900 Menschen in München, davon 400 Leiharbeiter. „Kurzarbeit ist derzeit nicht geplant. Ausschließen können wir aber nichts“, sagt Pachta-Reyhofen.
Wollen sich die Brummibauer selbst Mut zusprechen, brauchen sie ein Quäntchen Galgenhumor: Nach einem Einbruch in Spanien um 40 Prozent „kann der LKW-Markt nicht viel tiefer fallen“, sagt Finanzvorstand Frank Lutz. Bei der Deutschen Bank fallen 1900 Stellen weg. Die Euro-Krise erwischt auch den Primus der Finanzbranche. Gestern der Paukenschlag: 1900 Stellen, die meisten davon im Ausland, werden gestrichen, die Boni gekürzt. Der Gewinn hat sich im zweiten Quartal nahezu halbiert. Ausgerechnet das einst so erfolgreiche Investmentbanking, für das der neue Bank-Boss Anshu Jain steht, verbuchte einen Einbruch. Jain und sein Co-Chef Jürgen Fitschen machen ihren Mitarbeitern nicht gerade Mut: „Die Staatsschuldenkrise belastet weiterhin das Investorenvertrauen und die Kundenaktivitäten über alle Geschäftsbereiche hinweg.“
Alarmsignale bei Infineon und Siemens. Auch beim Münchner Chiphersteller Infineon blinken erste Warnleuchten. Noch-Vorstandschef Peter Bauer stellt sich auf härtere Zeiten ein, weil sich Industriekunden mit Bestellungen zurückhalten. Ab September werden die Investitionen kräftig zurückgefahren. „Wo wir sparen können, sparen wir jetzt“, sagte Bauer. Schlechte Zahlen auch bei Siemens. Der Konzern meldete schon in der vergangenen Woche einen Gewinneinbruch und kassierte seine Ergebnis-Prognose für 2012. Vorstandschef Peter Löscher stimmte seine Aktionäre auf einen „deutlichen Abschwung“ ein und kündigte ein Sparprogramm an.
2013 ein Loch im Haushalt der Landeshauptstadt? Unklar ist, wie sich die wegbrechenden Gewinne der Konzerne auf den Haushalt der Stadt auswirken. In den vergangenen Monaten floss die Gewerbesteuer reichlich – von Januar bis Juni waren es rekordträchtige 1,5 Milliarden Euro. Sebastian Dusch von der Kämmerei befürchtet heuer noch keinen Einbruch, sagte er zu AZ. Der Grund: Besonderheiten bei der Berechnung der Steuer, Nachzahlungen aus früheren Jahren, die hunderte Millionen Euro betragen können. 2013 und 2014 könnten sich die Auftragseinbrüche aber bemerkbar machen. Wie stark? „Das ist ein Blick in die Kristallkugel.“ Auf dem Arbeitsmarkt sieht’s noch passabel aus. Wenigstens der Einzelhandel hat’s vergleichsweise gut.
Weil die Menschen hierzulande die Krise bisher nur aus den Medien kennen, ist die Freude am Konsum ungebrochen. Das lässt für den Arbeitsmarkt hoffen. Gestern meldete das Münchner Arbeitsamt steigende Erwerbslosenzahlen für die Landeshauptstadt – doch ist dieser Zuwachs einzig darauf zurückzuführen, dass sich in den Sommermonaten viele Jugendliche vor ihrer Ausbildung oder nach dem Schulabschluss arbeitslos melden. Die Arbeitslosenquote in der Stadt betrug im Juli 4,1 Prozent. Bei vier von fünf Landkreisen im Großraum München stand sogar eine Zwei vor dem Komma – besser geht’s gar nicht.
„Sehr unsicheres Terrain“
Was wäre, wenn...? Ökonomen tun sich zurzeit mit ihren Prognosen schwer
AZ: Wie geht es heuer und im nächsten Jahr mit der Konjunktur in Deutschland weiter?
KAI CARSTENSEN: Wir sehen aus unseren Umfragen, dass es abwärts geht. Die Konjunktur bekommt im Sommer eine Delle, bis Ende des Jahres wären wir dann bei einem Wirtschaftswachstum von 0,7 Prozent. Fürs nächste Jahr erwarten wir 1,3 Prozent.
Was macht Sie so optimistisch für das kommende Jahr?
Unsere Prognose basiert auf der Annahme, dass die Unsicherheit über den Euro tendenziell zurückgeht. Gehen wir davon aus, dass im nächsten Jahr ein Ende der Euro-Zone greifbar wird, können wir nichts mehr prognostizieren. Dafür gibt es keinen Präzedenzfall. Zwar können wir versuchen, Lehren aus den Finanzkrisen der Vergangenheit zu ziehen, doch führt uns das auf sehr unsicheres Terrain.
Welche Branchen leiden am meisten unter der Euro-Krise?
Sie ist für fast die gesamte Industrie ein Problem. Deutsche Unternehmen liefern nämlich vielfach Investitionsgüter. Wenn die produzierenden Unternehmen weltweit nicht wissen, wie es weitergeht, fahren sie den Einkauf von Maschinen für die Produktion erst einmal zurück.
Gleicht der niedrige Kurs des Euro diese Nachteile nicht aus?
Immerhin sinken dadurch doch rechnerisch die Preise für deutsche Produkte. Der Kurs des Euro macht Exporte zwar billiger, aber deutsche Produkte sind nicht besonders preissensitiv. Firmen, die hochspezialisierte Güter verkaufen, haben viele Möglichkeiten, über die Qualität zu argumentieren. Bei Ausrüstungsgütern für die Produktion zählt insbesondere die Frage, ob und wie zuverlässig sie ihren Zweck erfüllen und wie lange sie halten.
Sind Sie für alle Branchen gleichermaßen skeptisch?
Im Einzelhandel läuft es besser. Solange die Deutschen nicht befürchten, dass die Krise auf sie persönlich durchschlägt, könnte die gute Konjunktur im Einzelhandel anhalten.
Wenn sich Ihre vorläufige Prognose für 2012 und 2013 als richtig herausstellt – bleibt dann der Arbeitsmarkt von der Krise unberührt?
Ja, in diesem Fall rechnen wir damit, dass die Arbeitslosigkeit nicht ansteigt. Es werden aber wohl auch nicht viele neue Stellen geschaffen.