Er tat es für Siemens

Reinhard S. gesteht: Schließlich geht es nicht nur um Untreue in 58 Fällen. Sondern mit 1,3 Milliarden Euro um den größten Schmiergeldskandal, der je einen deutschen Konzern erschüttert hat. Er war der Architekt der schwarzen Kassen – mit Wissen seiner Chefs.
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„Natürlich werde ich aussagen“, sagte Ex-Siemens-Direktor Reinhard S. gestern zu Beginn seines Strafprozesses. Seinen ehemaligen Vorgesetzten dürfte dies nicht gefallen.
az „Natürlich werde ich aussagen“, sagte Ex-Siemens-Direktor Reinhard S. gestern zu Beginn seines Strafprozesses. Seinen ehemaligen Vorgesetzten dürfte dies nicht gefallen.

Reinhard S. gesteht: Schließlich geht es nicht nur um Untreue in 58 Fällen. Sondern mit 1,3 Milliarden Euro um den größten Schmiergeldskandal, der je einen deutschen Konzern erschüttert hat. Er war der Architekt der schwarzen Kassen – mit Wissen seiner Chefs.

MÜNCHEN Der Kronzeuge sieht bodenständig aus: Graue, kurze Haare. Gemütlicher Bauch. Blauer Anzug, dezente Brille. Nur die Krawatte hat er gestern daheim gelassen. Er ist ja nicht mehr Direktor bei Siemens. Zehn Minuten vor Beginn seines Prozesses kommt er in den Sitzungsraum A 101/l, als wolle er signalisieren: Ich, Reinhard S., bin kooperativ. In seinen Koffern hat er viele Aktenordner dabei.

„Natürlich werde ich aussagen“, erklärt Reinhard S., nachdem die Staatsanwältin eine Stunde lang die Anklage gegen ihn verlesen hat. Schließlich geht es nicht nur um Untreue in 58 Fällen. Sondern mit 1,3 Milliarden Euro um den größten Schmiergeldskandal, der je einen deutschen Konzern erschüttert hat. Reinhard S. soll der Architekt des Schmiergeld-Systems der Siemens-Festnetzsparte gewesen sein. Mit Beraterverträgen soll er Geld über Tarnfirmen verschoben haben. 53 Millionen Euro Schmiergeld führen die Ermittler auf ihn zurück.

53 Millionen Euro Schmiergeld?

„Ist das zutreffend?“, will Richter Peter Noll von der 5. Strafkammer des Landgericht MünchenI wissen. „Grundsätzlich ja“, sagt Reinhard S. Der 57-jährige Münchner blendet aus, dass der Strafprozess gegen ihn läuft. Für ihn sitzt Siemens auf der Anklagebank, sowie der Ex-Vorstand um Heinrich von Pierer.

Mit ruhiger Stimme erzählt S., wie er aus Pflichtbewusstsein korrupt wurde. Mühsam hatte sich der gelernte Kaufmann vom Siemens-Azubi zum kaufmännischen Leiter nach oben gearbeitet. Erst Ende der 90er Jahre habe er mitbekommen, wie Bestechung in der Festnetzsparte organisiert wurde: über Konten in Österreich.

Dann wurde Korruption illegal – und die Sparte musste sich etwas überlegen, um im Ausland an Aufträge zu kommen. Bei einem konspirativen Treffen mit seinem Bereichsleiter und drei weiteren Managern beim „Alten Wirt“ in Forstenried wurde ausgeheckt: S. soll sich um die Abwicklung der Konten in Österreich und ein neues System kümmern. Mit zwei Geschäftsleuten ersann er fiktive Beraterverträge, die Siemens an Briefkastenfirmen vergab. „Es war natürlich allen klar, auch mir, dass es nicht dem Gesetz entspricht.“ Der Grundsatz habe gelautet: „Wir tun’s nicht für uns, wir tun’s für die Firma.“

Korruption ist wie ein nich zu stoppender ICE

Auch habe man beschlossen, die Korruption allmählich einzustellen. Bloß wie? S. vergleicht Korruption mit einem ICE, der kaum zu stoppen ist. „Sie sehen den ICE also schon abgebremst“, fragt Richter Noll und nennt noch einmal die 53 Millionen Euro Schmiergeld. „Nein, eher in der Bremsphase“, antwortet S.

Weil Siemens eine interne Abteilung zur Überwachung der Korruption ins Leben gerufen hatte, verschleierten die Regionalleiter ihre Schmiergeld-Wünsche. „200 Kilo Ersatzteile“ bedeutete zum Beispiel 200000 Euro, erzählt S. Und S. füllte das System „mit Leben“: „Zu der Zeit gab es keinen anderen Weg.“

Kriminell im Kämmerlein

Arbeitete Reinhard S. auf eigene Faust, nach eigenem Gutdünken, wie die Staatsanwaltschaft vermutet? „Ich habe mitnichten im stillen Kämmerlein gesessen“, sagt S. „Der komplette Bereichsvorstand war natürlich informiert.“ Als der nicht reagierte, sei er in die Anti-Korruptionsabteilung gegangen. Sogar Ex-Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger sei eingeweiht gewesen. S. ist sich sicher: Auch der Zentralvorstand um Heinrich von Pierer wusste Bescheid.

Das Ende für Reinhard S. bei Siemens kam im Jahr 2004. Er weigerte sich, eine Anti-Schmiergeld-Erklärung zu unterzeichnen und verließ den Konzern. Bald gibt es ein Wiedersehen. Das Gericht hat nicht nur die direkten ehemaligen Vorgesetzten ihres Mandanten sondern auch Heinrich von Pierer und andere ehemalige Zentralvorstände als Zeugen geladen.Reinhard S. könnte nur der Auftakt zu einer Reihe von weiteren Prozessen sein.

Volker ter Haseborg

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