„Einfach mal abschalten“: Die Psychologie der Börse

Im AZ-Interview spricht der Münchner Wirtschaftspsychologe Hartmut Kiehling über Krise, Vertrauen und den Segen des bedingten Nichtwissens in den Zeiten der globalen Finanzkrise
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Gier und Furcht: Archaische Triebe beherrschen auch die Börse.
dpa Gier und Furcht: Archaische Triebe beherrschen auch die Börse.

Im AZ-Interview spricht der Münchner Wirtschaftspsychologe Hartmut Kiehling über Krise, Vertrauen und den Segen des bedingten Nichtwissens in den Zeiten der globalen Finanzkrise

AZ: Am meisten fehlt in der gegenwärtigen Krise das Vertrauen? Wie kann man das schaffen und wer?

HARTMUT KIEHLING: Das können Staaten am besten, weil sie die besten Schuldner sind, oder Notenbanken oder Investoren mit einem Ruf wie Donnerhall, Warren Buffett zum Beispiel. Der hat die Finanzprodukte, die jetzt zum Crash geführt haben, schon vor Jahren Massenvernichtungswaffen genannt.

Gegenwärtig herrscht tiefes Misstrauen auf den Märkten. Ist das berechtigt?

In der gegenwärtigen Situation scheint alles möglich. Vor diesem pechschwarzen Hintergrund gedeiht Misstrauen sehr gut. Jede Bank bunkert ihre Liquidität, wir brauchen viel mehr als sonst, das macht es so schwer.

"Kursstürze erhöhen den Stress"

Gier und Furcht werden oft als Triebkraft für menschliches Handeln, auch an den Finanzmärkten genannt. Kann man die überwinden?

Das ist sehr schwer. Boom und Crash verstärken Kräfte, für die selbst Profis sehr anfällig sind. Kursstürze erhöhen den Stress. Die Menschen lassen sich mitreißen, und es ist schwer, sich dagegen zu wehren.

Wie kann man das machen?

Indem man Informationsmengen begrenzt, zum Beispiel.

Plädieren Sie dafür, die Computer abzuschalten und einen Tag freizumachen?

Die Börsianer haben oft neun Bildschirme gleichzeitig laufen, davon können Sie höchstens die Informationen von drei verarbeiten.

Raten Sie auch dem Normalbürger, abzuschalten?

Kleinsparer haben nach bisherigen Stand ohnehin nichts zu befürchten, aber auch Kleinaktionäre sollten jetzt nicht unüberlegt handeln: Greif niemals in ein fallendes Messer, heißt eine Börsenweisheit. Also: Erst mal abwarten.

"Die Wirtschaft ist zuständig für archaische Triebe, die Politik für Vernunft"

Hat in der aufgeheizten Atmosphäre die Vernunft eine Chance?

Aber ja. Die Politik hat vernünftig und sinnvoll gehandelt.

Gibt es eine Arbeitsteilung: Die Wirtschaft ist zuständig für archaische Triebe wie Gier und Frucht, die Politik ist zuständig für die Vernunft?

Das kann man so nicht sagen. Die Politik muss das Große Ganze im Blick haben, die Börsianer und die Banker handeln nach ihrer eigenen Logik.

Sind extreme Beruhigungsgesten wie Staatsgarantien unter Umständen sogar kontraproduktiv? So wie der Pilot, der vor Turbulenzen warnt und die Passagiere erst recht nervös macht?

Nein. Wir sind in den Turbulenzen, und der Pilot muss uns sagen, dass wir uns anschnallen müssen, und dass es vermutlich bald vorbei ist.

Wann ist es denn vorbei?

Da zitiere ich George Bernhard Shaw: Prognosen sind schwer, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.

In der Krise liegt eine Chance, heißt es immer: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Verantwortlichen die Ursachen für die jetzige Katastrophe beheben?

Es muss etwas geschehen, und es wird etwas geschehen. Größere Transparenz, bessere Bankenaufsichten, mehr Kontrolle für Hedge Fonds und Derivate.

Kann es sein, dass es bei Ankündigungen bleibt?

Das glaube ich nicht. Nach der Weltwirtschaftskrise von 1929 wurde das System auch deutlich umgebaut.

Interview: Matthias Maus

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