Ein Viertel aller jungen Erwachsenen ist arm

BERLIN - In nur zehn Jahren ist die Anzahl der Menschen in Deutschland, die unter der Armutsgrenze leben, um ein Drittel angestiegen. Es trifft vor allem junge Leute und Familien mit mehr als einem Kind, wie eine Studie ergab.
Mehr als elf Millionen Menschen in Deutschland leben in Armut. Das ist ein Drittel mehr als noch vor zehn Jahren, wie aus einer am Mittwoch veröffentlichten Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervorgeht. Danach sind inzwischen 14 Prozent der Bevölkerung gefährdet, vor allem kinderreiche Familie und junge Leute. Jeder vierte junge Erwachsene lebt unter der Armutsschwelle.
Die Berliner Wirtschaftsforscher sehen eine Anhebung staatlicher Unterstützungszahlungen dennoch skeptisch. "Höhere Hartz-IV-Sätze reduzieren zwar Einkommensdefizite", erklärte Markus Grabka, einer der Autoren der DIW-Studie. "Sinnvoller erschienen aber Investitionen in Kinderbetreuung und in verbesserte Erwerbschancen für Alleinerziehende und Familien mit jungen Kindern." Als armutsgefährdet gilt, wer weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung hat. So hat es die Europäische Kommission festgelegt, die 2010 auch zum Europäischen Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung ausgerufen hat. In Deutschland sind vor allem junge Erwachsene und Haushalte mit mehr als zwei Kindern betroffen: Unter den 19- bis 25-Jährigen lebte 2008 knapp ein Viertel unterhalb der Armutsschwelle, ergab die DIW-Studie.
Schlecht bezahlte Praktika
Die Forscher machen dafür vor allem drei Gründe aus: So seien die Dauer der Ausbildung sowie der Anteil der Hochschulabsolventen gestiegen, was den Einstieg ins Berufsleben verzögere. Zudem stiegen viele Berufsanfänger über schlecht bezahlte Praktika und prekäre Arbeitsverhältnisse ins Arbeitsleben ein, und es gebe den Trend, das Elternhaus früher zu verlassen.
Massiv gestiegen sind auch die Finanznöte großer Familien. Für Familien mit drei Kindern liege das Armutsrisiko bereits bei knapp 22 Prozent, bei vier und mehr Kindern erreiche es 36 Prozent, erklärte der Ko-Autor der Studie, Joachim Frick. Dies sei ein beträchtlicher Zuwachs gegenüber 1998 - "und das, obwohl der Ausbau der Kinderbetreuungsplätze und das Elterngeld diese Entwicklung bereits entlastet haben". Mit über 40 Prozent weisen Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern nach wie vor die größten Armutsraten auf.
Gute geht es den Middleagern
Relativ gut stehen der Studie zufolge dagegen die aktuell 46- bis 55-Jährigen da. "Diese Gruppe hat die Bildungskarriere in der Regel abgeschlossen und ist überwiegend berufstätig", sagte Frick. Auch Menschen am Ende ihres Berufslebens oder zu Beginn des Ruhestands seien vergleichweise wenig betroffen. Erst nach dem 75. Lebensjahr steigt das Armutsrisiko wieder auf das Durchschnittsniveau, was die Forscher unter anderem auf den höheren Anteil von Witwen mit geringeren Alterseinkünften zurückführen.
Die Studie basiert auf den Daten des Sozioökonomischen Panels, einer seit 25 Jahren laufenden Langzeitbefragung von mehr als 10.000 privaten Haushalten in Deutschland. Die Daten werden vom DIW in Zusammenarbeit mit TNS Infratest Sozialforschung erhoben.
(apn)