„Die Innenstädte verrohen“
Der Einzelhandel in den Städten wird an Individualität verlieren und die Kunden gewinnen durch den Discounter-Krieg wenig, glaubt Einzelhandels-Experte Volker Dölle. Ein Interview mit der AZ.
AZ: Herr Dölle, wird der Feldzug von Lidl gegen Aldi sinkende Preise bringen?
VOLKER DÖLLE: Es kann schon sein, dass dieser Wettbewerb im einen oder anderen Fall über den Preis ausgetragen wird. Generell können die Verbraucher aber nicht auf sinkende Lebensmittel-Preise hoffen. Die Hersteller zahlen schon seit Monaten höhere Preise für Rohstoffe. Zum Teil sind ihre Kosten um 100 Prozent gestiegen, ohne dass der Handel mit ihnen neue Verträge über höhere Preise abgeschlossen hätte.
Wie will Lidl dann Aldi angreifen?
Lidl tritt nach außen sehr laut auf, hat beispielsweise beim Lieferboykott der Milchbauern als erstes Unternehmen erklärt, die Vergütung für die Milch um zehn Cent pro Liter anzuheben. Lidl hat außerdem etwas mehr Marken als Aldi im Sortiment und versucht, damit beim Kunden zu punkten.
Wer, glauben Sie, hat bei dem Duell die Nase vorn?
Aldi liegt wohl etwas vorne. Aldi-Kunden lassen beim Einkauf etwa zehn Prozent mehr an der Kasse. Sie sind selbstbewusst, viele sind Beamte oder Angestellte, während Lidl einkommensschwächere Schichten anspricht. Aldi tritt nach außen als verantwortungsvolles, glaubwürdiges Unternehmen auf. Der Discounter hat beim Milch-Boykott beispielsweise angekündigt, genauso wie Lidl zehn Cent mehr pro Liter zu zahlen – aber nur sieben Cent mehr vom Kunden zu verlangen. Damit hat Aldi Lidl unter Zugzwang gebracht. Lidl kämpft dagegen, was das Image angeht, immer noch mit den Auswirkungen der Schnüffel-Affäre.
Welche Rolle spielt bei dem Discounter-Krieg die geplante Fusion der Tengelmann-Kette Plus mit dem Edeka-Unternehmen Netto?
Mit dieser Fusion entsteht ein neuer starker Anbieter, so dass wir im Discount-Bereich in Deutschland nur noch fünf Branchengrößen haben: Aldi, Lidl, Netto, Penny und Norma.
Wer wird der Verlierer dieser Entwicklung sein?
Der mittelgroße Supermarkt, der kein einzigartiges Angebot vorweisen kann, das ihn von anderen Läden deutlich unterscheidet.
Ist zu befürchten, dass durch den Vormarsch der Discounter unsere Warenwelt immer uniformer wird?
Ich denke eher, dass der Einzelhandel in den Städten sehr an Individualität verliert. Einzelne große Unternehmen beherrschen jetzt schon tendenziell den Handel vom Erzeuger bis zur Filiale. Kleine Einzelhändler in der City mit einem spezialisierten Angebot können da nicht mithalten, können auch nicht mehr die Mieten bezahlen, die üblich geworden sind. Es besteht die Gefahr, dass wir zum Schluss neben ein paar Edel-Einkaufsstraßen in den Citys nur noch Einkaufsareale mit irrsinnigen Verkaufsflächen haben werden, in denen Ware zu Discount-Preisen angeboten wird. Das ist nicht nur ein deutsches Phänomen. Sehen sie sich die Londoner Carnaby Street, den Broadway in New York an. Überall verlieren die Städte ihre individuell geprägten Ladenbilder, sie verrohen.
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