Die Furcht vor der Pleite: Verschwindet Karstadt bald aus München?

MÜNCHEN - Der Karstadt-Mutterkornzern Arcandor bekommt eine allerletzte Chance. Wenn die Eigentümer bis Mittwoch nicht mehr Geld geben, ist die Insolvenz besiegelt. Das hätte Folgen für die 2200 Mitarbeiter in München.
Wenn die Hoffnung schwindet, müssen Durchhalteparolen her. Und so legte Karl-Gerhard Eick Krawatte und Chef-Sakko ab, schnappte sich eine Flüstertüte und rief seinen Mitarbeitern zu: „Wir kämpfen bis zur letzten Minute!“ 50.000 Jobs sind in Gefahr, wenn die Karstadt-Mutter pleite geht, darunter über 2200 in München.
Doch Eicks Auftritt war umsonst: Die Bundesregierung will Arcandor vorerst nicht retten. Wenn die Eigentümer von Arcandor nicht schnell Geld ins Unternehmen pumpen, ist der Konzern noch in dieser Woche pleite. Die AZ klärt die wichtigsten Fragen.
Warum will der Staat Arcandor nicht retten?
Arcandor wollte 650 Millionen Euro Bürgschaft und 200 Millionen Sofortkredit aus dem „Deutschlandfonds“. Der Fonds hilft Firmen, die wegen der Finanzkrise unverschuldet in Not geraten sind. Die Antwort der Bundesregierung: nein! Grund: Arcandor steckt nicht wegen der Finanzkrise, sondern wegen krasser Management- Fehler in der Krise. Auch eine zweite Bitte lehnte die Regierung ab: Es gibt keine 437 Millionen Euro Notkredit. Der Grund: „Was uns nach wie vor fehlt, ist eine Lösung seitens der Eigentümer“, zürnte Kanzlerin Bundeskanzlerin Angela Merkel. „Ohne eine Zukunftsperspektive ist die Inanspruchnahme staatlicher Hilfe überhaupt nicht denkbar.“
Gibt es noch Hoffnung?
Ja. Wenn die Eigentümer von Arcandor mehr Geld zuschießen, dann würde der Staat doch helfen. Arcandor-Sprecher Gerd Koslowski kündigte an, die Verhandlungen liefen weiter. Dienstagvormittag soll aufgrund der Ergebnisse entschieden werden, ob Arcandor ein nachgebessertes Konzept vorlegt. Die größten Arcandor-Eigentümer sind die Bank Sal. Oppenheim und die Quelle-Erbin Madeleine Schickedanz. 150 Millionen Euro wollten sie lockermachen – viel zu wenig. Doch ob die Eigentümer das Geld aufbringen können, ist ungewiss: Ihre Banken, darunter die BayernLB, tun sich schwer, in der Krise Geld lockerzumachen. Bekommt Arcandor bis morgen kein Geld, ist die Pleite besiegelt.
Was ist mit der Fusion mit der Metro- Gruppe?
Die Verhandlungen stocken, weil es Streit um den Kaufpreis gibt. Spielen Interessenten auf Zeit? Möglich. Eine Insolvenz käme Käufern gelegen. Dann könnten sie sich Rosinen herauspicken. Der Otto-Versand hat Interesse an den Karstadt-Sporthäusern und am Spezial-Versand von Arcandor.
Welche Münchner Warenhäuser können betroffen sein?
München gehört zu den drei Städten in Bayern, wo Kaufhof und Karstadt existieren. In der Innenstadt gibt es Karstadt Sport, den Oberpollinger, Karstadt am Dom und am Bahnhof/Stachus den großen Karstadt, ehemals Hertie. An der Münchner Freiheit und am Nordbad stehen zwei kleine Karstadt-Häuser. Der Karstadt am Dom fällt quasi weg, er macht nach dem Auslaufen des Mietvertrages dicht – das Haus wird wohl abgerissen. „Die Nachfrage an einer solch attraktiven Location ist hoch“, sagt Wolfgang Fischer von Citypartner.
Was bedeutet eine Pleite für die Stadtteil-Häuser?
„Sie sind gerade für die Nahversorgung sehr wichtig. Das Beispiel Rotkreuzplatz – in diesem Falle steht dort ein Kaufhof – zeigt es. Drumherum haben sich andere Läden und Gastronomie angesiedelt“, sagt Bernd Ohlmann vom Einzelhandelsverband Bayern.
Verödet bald die Innenstadt?
„In der Innenstadt wird es keine verklebten Fenster geben“, sagt Wolfgang Fischer von Citypartner. „Der Handel wird auf jeden Fall weitergehen.“
Heißen die Karstadts künftig Kaufhof?
Das ist völlig unklar. Selbst bei einer Fusion mit Kaufhof muss nicht überall Kaufhof draufstehen. Arcandor hat den Oberpollinger am Stachus und das Sporthaus in die Verwertungsgesellschaft Atrys ausgegliedert – die könnten auch an andere gehen.
Wie viele Jobs sind in München in Gefahr?
Derzeit arbeiten über 2200 Menschen in München bei Karstadt. Verdi warnt: Auch bei einer Fusion mit Kaufhof stehen Jobs auf dem Spiel – auch von Kaufhof-Mitarbeitern. Georg Wäsler von Verdi: „Beispiel OEZ – dort gibt es sowohl Karstadt als auch Kaufhof – ich bezweifle, dass das so bleiben wird. Oder Beispiel Stachus: Da steht der Kaufhof gegenüber von Karstadt. Hier geht es nicht mehr um Kaufhof gegen Karstadt – hier geht es ums Ganze.“
Warum stecken alle großen Warenhäuser in der Krise?
Fachmärkte wie Saturn, Ketten wie H&M oder Herstellershops wie Esprit und Shoppingcenter, die Stores und Gastronomie vereinen, haben die Warenhäuser abgelöst. Wirtschaftwissenschaftler Joachim Zentes sagt: „Egal, was jetzt entschieden wird – bis zum Jahr 2015 werden Kaufhof wie Karstadt ein Viertel bis ein Drittel ihrer Häuser schließen müssen. Mittelfristig wird es nur noch eine Warenhauskette in Deutschland geben.“
Tina Angerer, Volker ter Haseborg