Die Abrechnung

Gerhard Cromme zieht bei Siemens die Strippen und ließ Thyssen-Krupp aus dem Ruder laufen. Heute muss er Rede und Antwort stehen. Mit ihm steht das Aufsichtsräte-System am Pranger
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Thyssen-Krupp-Standort in Duisburg
Thyssen-Krupp-Standort in Duisburg

BOCHUM Gerhard Cromme ist vieles gewohnt. In den 80er Jahren musste sich der damalige Chef von Krupp-Stahl von wütenden Arbeitern mit rohen Eiern bewerfen lassen. Heute wird er sich nur gegen verbale Attacken wehren müssen – angenehm wird es trotzdem nicht. In Bochum treffen sich die Aktionäre von Thyssen-Krupp zur Hauptversammlung. Und Cromme wird mehr als eine Rücktrittsforderungen hören.

Der 69-Jährige ist einer der meistbekannten, meistverehrten und meistgehassten Manager Deutschlands. Er führt auch den Aufsichtsrat von Siemens und ist unter anderem Mitglied der Kontrollgremien von Allianz, Lufthansa und Eon. Kaum ein deutscher Boss verfügt über ein ähnlich gut bestücktes Adressbuch wie er.

Doch sein Ruf ist ramponiert, seit Thyssen-Krupp ins Trudeln geriet. Ex-Vorstandschef Ekkehard Schulz musste gehen, Ende 2012 drei weitere Vorstände. Die grandiose Fehlplanung zweier Stahlwerke in Brasilien und den Vereinigten Staaten kostete Thyssen-Krupp zwölf Milliarden Euro. Um das Schienenkartell mit Voest-Alpine und anderen Stahlherstellern zu zimmern, trafen sich Manager zu Besprechungen in Bordellen. Zur Kartellstrafe (103 Millionen Euro) kommen hohe Schadenersatzforderungen der Bahn und anderer Kunden.

Nicht ganz so teuer, aber verheerend fürs Image sind die Luxusreisen nach Asien und Amerika, mit denen der Vorstand Journalisten schmierte. Auch gegenüber den eigenen Aufsichtsräten, die den Vorstand eigentlich kontrollieren sollten, zeigte sich der Konzern erkenntlich: mit First-Class-Reisen, angeblich zu dienstlichen Zwecken. Peinlich war dies zuletzt für IG-Metall-Aufsichtsrat Bertin Eichler – er musste seinen Rücktritt ankündigen.

Der Fall Thyssen-Krupp wirft ein schlechtes Licht auf die Arbeit der deutschen Aufsichtsräte. Korrupt, überfordert – die Kontrolleure der Konzerne kommen ihrer Aufgabe in vielen Fällen nicht oder höchstens in Ansätzen nach. In den Aufsichtsräten von Top-Konzernen sitzen Verbandsfunktionäre, Büroangestellte, gelernte Schweißer oder auch mal eine Meinungsforscherin wie Renate Köcher, die den Vorständen von Allianz, BMW und Infineon auf die Finger klopfen soll. Viele selbsternannte Experten sammeln Aufsichtsratsmandate wie andere Menschen Pokale im Schützenverein, ohne auch nur einem einzigen Posten gerecht werden zu können.

Unter der Wegsicht dieser Kontrolleure gedeihen Korruption und Schlendrian. Eine Kommission, 2001 von der Bundesregierung eingesetzt, sollte diesem Missstand entgegenwirken und erarbeitete Grundsätze für gute Unternehmensführung. Ihr damaliger Chef: Gerhard Cromme.

Der taugt mittlerweile nicht mehr zum Vorzeige-Aufpasser. Top-Manager und Aufsichtsräte schrieben deshalb einen offenen Brief an Cromme und forderten ihn zum Rücktritt auf. Verfasst wurde das Schreiben von der Vereinigung der Aufsichtsräte in Deutschland (VARD). Deren Vize-Präsident Peter Dehnen fürchtet um den Ruf der Chefkontrolleure (siehe AZ-Interview). Auch der Dachverband der Kritischen Aktionärinnen und Aktionäre fordert Crommes Kopf. „Personifiziert wird der moralische Niedergang bei ThyssenKrupp durch Gerhard Cromme“, meinte der Geschäftsführer des Verbands, Markus Dufner. Selbst die Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz droht, über die Personalie Cromme nachzudenken. Doch der wird heute alle Vorwürfe abwettern – selbst, wenn rohe Eier fliegen.sun

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