Der nette Schurkenstaat von nebenan
"Woanders mag das ungesetzlich sein, aber hier nicht", sagt der Jungbanker in Vaduz. Wie gehen die Liechtensteiner um mit dem vermutlich größten Steuerskandal Deutschlands? Die AZ hat sich im Fürstentum umgesehen.
VON MATTHIAS MAUS
Roswita Lepidas-Wolf schiebt ihre große Sonnenbrille zurecht: „Davon leben wir doch!“ sagt sie mit unverkennbarem Stolz. Die freundliche Dame auf der Aeulistraße in Vaduz vermittelt keinen Hauch von schlechtem Gewissen. Die aktuelle Aufmerksamkeit, die ihrer kleinen Heimat zu teil wird – Steuerhinterziehung, versteckte Konten, halbseidene Stiftungen, der Fall Zumwinkel: Frau Lepidas-Wolf bleibt ganz gelassen: „Es gibt größere Ungerechtigkeiten auf der Welt.“
Die Passantin ist kein Einzelfall. Aber sie ist die einzige an diesem sonnigen Montag, die mit ihrem Namen geradesteht für ein trotziges Selbstbewusstsein, das sich von so einem Steuerskandal nebenan nicht erschüttern lässt. Hier ist die Weltsicht begrenzt durch den schneegleißenden Alvier im Westen und den Schatten der Burg - das derzeit meistgezeigte Landschaftsbild in der deutschen Presse.
"Keine Liechtensteiner Spezialität"
„Das ist doch ein deutsches Problem“, findet ein Rentnerpärchen, er im Loden, sie im Pelz. „Alles sehr aufgemotzt,“ meint er, „da soll doch bloß Angst eingeflößt werden.“ Dass sich rund 50 Kilometer nördlich die ganze Nation aufregt über die maßlose Gier ihrer höchstbezahlten Kaste, das stößt hier auf nur mäßiges Verständnis: „Ich war auch lange in einer Bank tätig“, sagt der Lodenträger in seinem schweizer Akzent: Ja, das seien schon „Machenschaften“, aber keine „Liechtensteiner Spezialität“.
Und überhaupt, was die EU mit den Schweizern vorhabe, das sei „viel schlimmer“. „Das geht die doch einen Scheißdreck an, was wir an Steuern zahlen.“ Auf den Hinweis, dass das jetzt doch vielleicht ein anderes Thema sei, zerrt die Gattin am Loden-Ärmel: „Sei still, sonst werden wir auch noch verhaftet.“ Ein Foto? „Um Gottes Willen!“ Die Namen: „Nein, aber einen wunderschönen Tag wünschen wir noch.“
Doch, es gibt auch normale Menschen in Liechtenstein, dem Flecken, der gerade die Rolle des Schurkenstaats von nebenan gibt. In der Bäckerei Ospelt zum Beispiel: „Ja sicher“, hat man was gehört, sagt die Chefin. Und wie fühlt es sich an, wenn der eigene Staat als Komplize bei internationalen Finanztricksereien dargestellt wird? „Kein Kommentar, nein bitte, ich habe Kundschaft.“.
"Steueroasen gibt's doch überall"
Die situierte Dame zum Beispiel, deren rosa Lippenstift so wunderbar mit der pinken Strickweste korrespondiert: „Steueroasen gibt’s doch überall“, sagt sie, einen Skandal könne sie nicht sehen. Und der Gatte hinter der anscheinend obligaten Sonnenbrille der Besserverdienenden bleibt gelassen: „Wir sind stolz. Schauen Sie da oben, da wohnt der Fürst. Den kennen wir. Der kennt keine Skandale. Der ist katholisch. Dem vertrauen wir.“
Das tat Klaus Zumwinkel auch. In der LGT, der Bank des Fürstenhauses, wähnte der Ex-Post-Chef sein Geld sicher: In einer Stiftung, die, so die Staatsanwaltschaft, einzig dem Zweck der Steuerhinterziehung diente. Für die CD mit den Beweisen zahlten die deutschen Behörden rund fünf Millionen an den Informanten, was bei einem erwarteten Rücklauf von vier Milliarden in die Staatskassen kein schlechtes „Return on investment“ ist. Eigentlich müsste das Verhalten des Finanzministers also den kundigen Bürgern Liechtensteins Respekt einflößen: Tut es aber nicht: „Das ist nicht die feine englische Art“, sagt die Dame, die dem Fürsten so vertraut. Auch „Das Vaterland“, die größte Zeitung im 160 Quadratkilometer großen Fürstentum zwischen Österreich und der Schweiz spricht in seiner gestrigen Schlagzeile von „Fragwürdigen Mitteln“.
Geld an den "Verräter"
Nicht das Gebaren der 15 Banken am Ort mit seinen 5000 Einwohnern ist gemeint. Auch nicht die Tatsache, dass die Behörden des Fürsten nicht kooperieren beim Verdacht der Steuerhinterziehung. Der Groll richtet sich gegen die Zahlung von Geldern an den „Verräter“.
Ganz offensichtlich färbt die Tatsache ab, dass jeder zweite der 31000 Bewohner Liechtensteins mit Geldgeschäften sein Geld verdient, dass 200 Milliarden Euro aus aller Herren Länder hier angelegt sind. Gut angelegt, wie nicht nur ehrliche Sparer hoffen.
Ein Mangel an Unrechtsbewusstsein
„Es ist ein Skandal“, erregt sich ein 20-Jähriger und zieht sich seinen Kopfhörer aus dem Ohr: „Was da jetzt geschrieben wird.“ Ja sicher, gibt der Jungbanker zu, woanders mag Steuerhinterziehung ungesetzlich sein: „Aber hier nicht“. Hier, wo im Kunstmuseum „Joseph Beuys – die fünfziger Jahre“ zu sehen ist, und wo die Glaspaläste moderner Architektur das Alpenpanorama spiegeln, herrscht kein Mangel an kultureller Beflissenheit. Es herrscht nur ein Mangel an Unrechtsbewusstsein.
Natürlich auch in den Hallen der LGT, wo Goldbarren in Vitrinen liegen und die Besprechungszimmer „Fugger“ heißen. Ob Liechtenstein nicht ein Image-Problem habe? „Das kommentieren wir nicht“, so der gestresste Sprecher Bernd Junkers. Und welche Strategie sein Unternehmen jetzt fährt, um die Krise zu meistern? „Dafür ist es noch viel zu früh. Es kommt ja ständig noch was nach.“
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