Der Chef darf alles mitfilmen

... wenn er es in den Arbeitsvertrag schreibt: Ein geplantes neues Gesetz bringt Gewerkschafter auf die Palme. Es verbietet verdeckte Überwachung, erlaubt aber viele andere Kontrollen
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Videoüberwachung von Büroangestellten: Künftig auch ohne konkreten Anlass?
Videoüberwachung von Büroangestellten: Künftig auch ohne konkreten Anlass?

BERLIN Den Anfang machten der Überwachungs-Skandal beim Discounter Lidl. Vor zwei Jahren beschloss die Bundesregierung einen Gesetzentwurf, der Beschäftigte vor Bespitzelung schützen soll. Jetzt nimmt das Gesetz Gestalt an – und es läuft darauf hinaus, dass Beschäftigte noch umfassender als früher kontrolliert werden können.

Offene Überwachung wird erleichtert. Das ist geplant: Die verdeckte Video-Überwachung von Beschäftigten soll zwar ausdrücklich verboten werden, wenn kein schwerwiegender Verdacht vorliege. Aber die Möglichkeiten, offiziell rund um die Uhr in der Firma Kameras laufen zu lassen, werden erweitert. Dafür braucht der Arbeitgeber keinen konkreten Anlass. Eine Vermutung, es könne gegen irgendwelche Regeln verstoßen werden, reicht schon. Außerdem kann der Arbeitgeber auch nach der Einstellung vom Beschäftigten verlangen, dass er sich ärztlich untersuchen lässt, wenn er eine neue Tätigkeit ausüben soll. Bisher sind solche Tests in aller Regel auf neu eingestellte Mitarbeiter beschränkt. Die Auskünfte des Arztes an den Arbeitgeber sollen auf die Tatsache beschränkt sein, ob die Eignung für die Tätigkeit gegeben ist oder nicht – in der Praxis dürften Chefs vom Arzt aber oft weitaus mehr Informationen bekommen.

Keine Spionage auf Facebook. Die Koalition rühmt sich der Vorteile, die das Gesetz bringe: „Datenschutzskandale, bei denen Arbeitnehmer bis in die Umkleidekabine hinein bespitzelt wurden, werden endlich der Vergangenheit angehören“, sagte FDP-Generalsekretär Patrick Döring. Das war zwar nach der gängigen Rechtsprechung auch bisher schon verboten – allerdings fehlte ein Gesetz, das dies ausdrücklich festlegte. Dazu kommt eine weitere Einschränkung für kontrollwütige Chefs: Sie dürfen die Videoüberwachung nicht zur Leistungskontrolle einsetzen, und sie dürfen sich nicht inkognito im Internet für einen Bewerber oder Beschäftigten interessieren – beispielsweise als „Freund“ den Facebook-Account eines Mitarbeiters in Augenschein nehmen.

Mitarbeiter als „Freiwild“? Für den DGB-Chef Michael Sommer ist der Entwurf trotzdem eine deutliche Verschlechterung. Zum „Freiwild“ würden vor allem Mitarbeiter in Call-Centern, deren Arbeit nicht nur mit Videokameras, sondern auch durch Mitschnitte ihrer Telefonate permanent überwacht werden könne. Besonders hart treffe die Beschäftigten auch die Ausweitung ärztlicher Untersuchungen: „Das würde insbesondere viele ältere Arbeitnehmer treffen, das könnte bis zur krankheitsbedingten Kündigung gehen, und das ist eine unglaubliche Verschlechterung gegenüber dem heutigen Rechtszustand.“

Beschäftigte klauen für 800 Millionen Euro im Jahr. Überwacht wird vor allem im Einzelhandel. Pro Jahr beklagen die Firmen eine so genannte Inventurdifferenz ( fehlende Waren und Bargeld) von 3,7 Milliarden Euro. Das macht ein Prozent des Umsatzes aus. Ein Teil davon geht auf das Konto von Ladendieben, ein Teil auf Schlamperei, geschätzte 800 Millionen Euro jedoch auf das Konto der Beschäftigten. Die Versuchung für Chefs, Langfingern mit Kameras auf die Schliche zu kommen, ist groß. In die Schlagzeilen geriet der Discounter Lidl. Er ließ Ladendetektive per Video Beschäftigte ausspionieren – allerdings ging’s nicht nur um Diebstahl, sondern darum, wann sie auf die Toilette gingen, wer mit wem anbandelte, wer sich ungeschickt bei der Arbeit anstellte. Auch bei Aldi sollen Beschäftigte bis in intimste Details überwacht worden sein. Im vergangenen Jahr wurde außerdem bekannt, dass Aldi-Detektive gezielt Kundinnen mit kurzen Röcken und weiten Ausschnitten gefilmt und diese Aufnahmen auf CDs herumgeschickt hatten. sun

 

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