Das Ende der Bescheidenheit
Lohnkompromiss im öffentlichen Dienst weckt viele Wünsche. Auch andere Branchen wollen nun mehr Geld. Doch die Politiker warnen vor übertriebenen Erwartungen.
MÜNCHEN/HANNOVER Eine Einigung mit Folgen: Das Ende der Tarifauseinandersetzungen im öffentlichen Dienst weckt auch bei vielen Beschäftigten anderer Branchen die Hoffnung auf mehr Geld. Unternehmer und Politiker hingegen warnen bereits vor übertriebenen Erwartungen – und vor den Folgen für Konjunktur und Aufschwung.
Das Signal aus Potsdam vom Montag – acht Prozent mehr Geld für den öffentlichen Dienst, gerechnet auf zwei Jahre – elektrisierte gestern viele Beschäftigte. So verlangten Bayerns Beamte umgehend auch für sich einen großen Schluck aus der Pulle. Da für sie erst 2009 die nächste Verhandlungsrunde anstehe, müsse es schon vorab eine schnelle Einmalzahlung in Höhe von 600 Euro geben, so Beamtenbund-Chef Rolf Habermann. Ähnlich die Ärzte (die von der Tarifeinigung am Montag nicht betroffen sind): Man verlange nun „eine kräftig aufgewertete Offerte“, sagte der Vorsitzende des Marburger Bundes, Rudolf Henke.
Die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi und die öffentlichen Arbeitgeber von Bund und Gemeinden hatten sich am Montag nach zähen Verhandlungsrunden auf einen abgestuften Kompromiss geeinigt. Demnach erhalten alle Arbeitnehmer einen Sockelbetrag von 50 Euro pro Monat. Dazu kommen 3,1 Prozent mehr Geld in diesem und noch einmal 2,8 im nächsten Jahr sowie einmalig 225 Euro. Daraus errechnen die Gewerkschaften eine Gesamterhöhung von acht Prozent.
Mit besonderem Interesse wurde diese Einigung auch in der Chemieindustrie registriert: Für deren mehr als 500000 Beschäftigte begannen am Dienstag die Tarifverhandlungen in Hannover. Die Gewerkschaft verlangt ein Plus von sieben Prozent. Angesichts der boomenden Branche seien so große Gehaltssprünge durchaus angemessen. Die Chemie-Arbeitgeber rechnen offenbar fest mit dem gesteigerten Appetit ihrer Angestellten: Man bereitet sich auf „komplizierte und lange Verhandlungen“ vor, erklärte der Arbeitgeberverband.
Steigende Löhne allenthalben
Mit spürbar steigenden Löhnen quer durch alle Branchen rechnet auch das Institut für Wirtschaftsforschung: „Wir werden in diesem Jahr höhere Abschlüsse bekommen“, sagte Präsident Ulrich Blum. Wegen der hohen Inflation sei ein Lohnplus von bis zu fünf Prozent „erträglich“.
Unterdessen gingen bei der Post die Warnstreiks von Verdi weiter. Alleine in München waren 500 Zusteller ganztägig im Ausstand, bundesweit waren es 5000. Jeder zweite Brief in München kam laut Verdi nicht an. Ab heute soll der Streik auf ganz Bayern ausgeweitet werden. In dem Streik geht es um Jobgarantien, Arbeitszeiten und Löhne.
Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt kritisierte den Tarifkompromiss als „falsche Weichenstellung“. Er dürfe kein Vorbild sein für die private Wirtschaft. Auch die Kommunen beurteilen die Tarifeinigung skeptisch. Vor allem in Städten mit hoher Arbeitslosigkeit werde sich die Lage eher verschärfen, weil die Rathäuser nun noch einmal gezwungen seien, zu sparen und Stellen abzubauen, so der Städtetag. Auch auf höhere Gebühren bei Nahverkehr und Müllabfuhr müssten sich die Bürger nun einstellen.
Besonderen Belastungen sehen sich auch die Krankenhäuser ausgesetzt. Klinikbetreiber kündigten an, die Patienten würden einen Sparkurs zu spüren bekommen. Anders ließen sich die acht Prozent „nicht mehr schultern“, erklärte die Bayerische Krankenhausgesellschaft.
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