Darf’s etwas mehr sein?

Im Zweifel eher zu viel als zu wenig Medizin: Die Gesundheitsreform macht uns krank, prophezeien Experten. Damit die Kassen genügend Geld aus dem Gesundheitsfonds bekommen, werden sie versuchen, möglichst viele Mitglieder zu Kranken zu erklären.
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Behandlung in der Arztpraxis: Die Kriterien für die Zahlungen an die Kassen legen zum Teil ein unsinnige Diagnosen nahe.
abendzeitung Behandlung in der Arztpraxis: Die Kriterien für die Zahlungen an die Kassen legen zum Teil ein unsinnige Diagnosen nahe.

Im Zweifel eher zu viel als zu wenig Medizin: Die Gesundheitsreform macht uns krank, prophezeien Experten. Damit die Kassen genügend Geld aus dem Gesundheitsfonds bekommen, werden sie versuchen, möglichst viele Mitglieder zu Kranken zu erklären.

MÜNCHEN Spannende Geschäftsideen zu entwickeln kann so einfach sein: Ab dem nächsten Jahr gibt es den Gesundheitsfonds und mit ihm den neuen so genannten „Morbi-RSA“, einen Risikoausgleich zwischen den Krankenkassen. Er gefährdet die Gesundheit von Patienten und eröffnet Geschäftemachern neue Potenziale.

Für alle Krankenkassen gilt ab dem 1. Januar der Einheitsbeitrag von 15,5 Prozent. Die Kassen bekommen das Geld der Versicherten entsprechend der Zahl ihrer Mitglieder zugeteilt. Der Morbi-RSA sorgt außerdem dafür, dass Kassen mit einem hohen Anteil von kranken Versicherten mehr Geld erhalten als anderen Kassen. Die unausweichliche Folge: Die Kassen werden darum wetteifern, möglichst viele Mitglieder zu Kranken zu stempeln.

Findige Dienstleister nutzen dies jetzt schon. „Erlös- und Kostenoptimierung – welche Umsetzungsmöglichkeiten gibt es?“ heißt es in einer Vorlage des Konferenz-Anbieters Euroforum. Auf der Einladungsliste finden sich Projektmanager und Softwareanbieter. Letztere haben Computerprogramme für Arztpraxen entwickelt, die dem Doktor das Denken abnehmen sollen.

„Als Patient läuft es einem kalt den Rücken runter“, berichtet Sonja Froschauer von der Kassenärztlichen Vereinigung Bayern über eine Version der neuen Arzt-Software. Gebe der Arzt beispielsweise die Daten eines 55-jährigen Patienten mit leichtem Übergewicht und Bluthochdruck ein, öffne sich automatisch ein Fenster im Programm, das den Arzt dringlich bitte, den Patienten auf Nierenprobleme hin zu untersuchen. Bei so genannten „Verdachtsdiagnosen“ lege die Software dem Arzt die Erstellung einer gesicherten Diagnose nahe.

Ein Klick an der gewünschten Stelle im Programm entscheidet über tausende Euro. Zum Beispiel bei Diabetes: Nur beim Typ II ohne Komplikationen fließe automatisch Geld aus dem Morbi-RSA, heißt es beim Landesverband der Betriebskrankenkassen. Alle anderen Diagnosen müssten zusätzliche Kriterien erfüllen. Jörg Saatkamp, der Verbandschef der bayerischen Betriebskrankenkassen, prophezeit „ein massenweises Aufkommen“ von Diabetes Typ II, „damit das Geld bei uns klingelt“. Bei vielen ambulanten Diagnosen gebe es nur dann Mittel, wenn jährlich 183 Tagesdosen des entsprechenden Medikamentes verordnet würden. Im schlimmsten Fall dürfte der Arzt also die Pillen verschreiben, selbst wenn dies nicht der Gesundheit des Patienten förderlich sei.

Entscheidend wird deswegen sein, in welchem Maß die Krankenkassen auf die niedergelassenen Ärzte einwirken können. Unmittelbaren Zugriff auf die Arztpraxen haben die Kassen, wenn sie direkte Abrechnungsverträge mit einzelnen Medizinern oder Arztgruppen haben. In Bayern gebe es 1000 solcher so genannte Direktverträge, sagt Sonja Froschauer. Wie forsch einzelne Kassen im Zweifelsfall vorgehen – und wie kooperativ die Praxen sind – berichtet die „Ärztezeitung“: Die BKK Salzgitter habe unlängst niedergelassene Mediziner angeschrieben und sie gebeten, bestimmte Diagnosen zu überprüfen. „Die Reaktion der Ärzte war überwiegend positiv“, zitiert das Blatt einen Funktionär der BKK. sun

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