Bonanza im All:
OBERPFAFFENHOFEN/BREMEN Darf’s eine Milliarde mehr sein? In Zeiten der Schuldenkrise wird in Brüssel um jeden Euro gerungen. Grund zur Sorge für die Planer des europäischen Satelliten-Programms Galileo. Das High-Tech-Projekt könnte auf Diät gesetzt werden, um die Agrarsubventionen zu retten. Gestern warb die Galileo-Firma OHB für ihr Vorhaben.
OHB in Bremen hat den Zuschlag für 22 Galileo-Satelliten bekommen, nachdem die EADS-Raumfahrttochter Astrium die ersten vier Satelliten für sich ergattern konnte. Bisher kreisen vier Satelliten um die Erde. Heuer sollen vier weitere Satelliten im Wert von jeweils 40 Millionen Euro in die Luft gehen. Verkehrs-Staatsskretär Reiner Bomba lobte gestern OHB: "Wir konnten uns davon überzeugen, dass die Serienproduktion auf Hochtouren läuft,"
Bessere Navigation, Orientierung sogar innerhalb geschlossener Gebäude. Ursprünglich war die europäische Kooperation gestartet worden, um von den USA unabhängig zu sein. Das amerikanische Satelliten-System GPS, mit dessen Signalen unzählige Anwendungen arbeiten, ist nicht besonders genau und kann im Fall eines Krieges auch einmal von den Amerikanern abgeschaltet werden. Galileo soll besser und genauer werden – und wird nur von Europa aus kontrolliert. Künftige Navigationssystem werden wahrscheinlich sowohl die amerikanischen als auch die europäischen Signale aus dem All auswerten. Das bedeutet für den Nutzer mehr Sicherheit.
Wer beispielsweise heute in einer städtischen Häuserschlucht unterwegs ist, muss damit leben, dass ihn sein Navi ab und zu hundert Meter von seinem tatsächlichen Standort entfernt verortet, weil der Kontakt zu einem Satelliten verloren gegangen ist. Das wird in Zukunft nicht mehr der Fall sein, wenn das Navi von einem Signal aufs andere wechseln kann. Eine weitere Anwendung: Galileo soll die Orientierung innerhalb eines Gebäudes möglich machen. So könnten sich Verbraucher künftig innerhalb von großen Einkaufszentren per Navi darüber informieren, wo es das nächste Geschäft mit den Waren gibt, die sie gerade suchen.
Die Kosten explodierten. Wann Galileo aber wirklich startet, ist noch unklar. Zur Schadenfreude seiner Kritiker gab es wiederholt Verzögerungen, außerdem liefen die Kosten aus dem Ruder. Anstelle von usprünglich 3,3 kostet das System voraussichtlich sieben Milliarden Euro. Die Finanzierung kommt aus öffentlichen Töpfen, nachdem ein Zusammenschluss privater Firmen aus dem Vorhaben ausstieg. Ein Gezerre um öffentliche Mittel und Aufträge war die Folge – „EU-Agrarpolitik im Himmel“, lästerten Kritiker.
Offiziell heißt es jetzt, bis Ende 2014 beginnt Galileo mit seiner Arbeit. Das bedeutet: Bis Ende 2014 werden erste Signale gesendet – ob und wie diese von kommerziellen Anbietern genutzt und in Anwendungen für Firmen und Verbraucher umgesetzt wird, muss sich zeigen.
Äußerst peinlich für OHB (und für Galileo) war eine Bemerkung des früheren OHB-Managers Berry Smutny, die die Enthüllungsplattform Wikileaks veröffentlichte. Smutny habe befunden, Galileo werde scheitern, wenn das Projekt nicht umgebaut werde, streute Wikileaks. Die Internet-Aktivisten zitierten den Manager mit der Bemerkung, die internationale Kooperation sei eine „dumme Idee“, eine „Verschwendunge von Steuergeldern im Interesse Frankreichs“. Smutny wurde umgehend gefeuert. OHB freut sich jetzt wieder auf Galileo – zumindest offiziell – und verplant knapp eine Milliarde Euro Umsatz, die der Firma der Großauftrag der EU gebracht hat. Für Skeptiker haben die Galileo-Vordenker kühne Wirtschaftlichkeitsprognosen parat. Die neuen Signale aus dem All sollten für Jahresumstäze von 200 Milliarden Euro oder mehr sorgen, und unzählige Arbeitsplätze in High-Tech-Unternehmen schaffen, sagen sie. sun
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