Abriss im gallischen Dorf

Der Ärger macht sich Luft: Am Donnerstag demonstrierten Simensianer in München gegen den massenhaften Jobabbau. Und warfen ihren Bossen vor, aus reiner Profitgier Stellen zu streichen. Eine AZ-Reportage.
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MÜNCHEN - Der Ärger macht sich Luft: Am Donnerstag demonstrierten Simensianer in München gegen den massenhaften Jobabbau. Und warfen ihren Bossen vor, aus reiner Profitgier Stellen zu streichen. Eine AZ-Reportage.

Eine halb abgerissene Betonruine. „Hier war früher der Versand“, sagt Susanne Kuchenbauer. Sie deutet auf nackte Erde, Freiflächen an der Münchner Hofmannstraße. „Dort der Betriebsarzt, die Betriebs-Krankenkasse, die Siemens-Feuerwehr. 1985, als ich hier angefangen habe, war das wie eine richtige Stadt, mit vielleicht 18 000 Beschäftigten.“

Susanne Kuchenbauer schwenkt eine rote IG-Metall- Fahne. Sie hat sich in ihren 23 Berufsjahren bei Siemens von der Sekretärin zur technischen Redakteurin hochgearbeitet. In der Gewerkschaft ist die schmale 44-Jährige nicht, trotzdem macht sie beim Protest gegen den Job-Kahlschlag bei der Telefon-Netzwerksparte SEN mit.

Transparente mit wütenden Sprüchen

Um die 600 Siemensianer marschieren wie sie neben Bauzäunen, hinter denen Abrissbagger am Werk sind. Sie tragen Transparente mit wütenden Sprüchen gegen die Siemens-Manager, die fast jeden zweiten der 6800 deutschen SEN-Beschäftigten loswerden wollen. Ein trauriges Spektakel. Außer ein paar Polizisten und Journalisten scheinen sich nicht viele Menschen dafür zu interessieren.

Die Beschäftigten demonstrieren vor allem für sich selbst und für die Journalisten, machen ihrem Ärger Luft. Michael Leppek von der IG Metall spricht den Siemensianern Mut zu. Ein „gallisches Dorf“ sei die Hofmannstraße früher im Siemens-Zentralvorstand genannt worden, sagt er. Ähnlich den tapferen Kriegern um Asterix und Obelix hätten sich die Beschäftigten dort schon einmal gegen die Willkür der Chefs gewehrt: 2002, als innerhalb weniger Wochen 2300 von 7000 Stellen gestrichen werden sollten, Kündigungen verschickt wurden. Vor Gericht erlebte Siemens mit den blauen Briefen damals eine juristische Niederlage nach der anderen. Ein Triumph für die Belegschaft.

Jetzt wird die Axt an SEN gelegt

Trotzdem wurde der Standort Hofmannstraße, einst ein 750 000 Quadratmeter großes Gelände mit zahllosen Siemens-Einheiten, in der Folge immer mehr demontiert. Das Siemens-Hochhaus ist längst verkauft, viele Gebäude abgerissen, tausende Stellen ausgegliedert, gestrichen – der Niedergang einer High-Tech-Brutstätte. Jetzt wird die Axt an SEN gelegt, und die Hofmannstraße trifft es erneut am schlimmsten.

Leppek lässt kein gutes Haar an der Siemens-Führung. Mit nur 500 Millionen Euro könne SEN fit gemacht werden, sagt er – ein Klecks, gemessen an den zehnMilliarden, die der Konzern für sein Aktien-Rückkaufprogramm investieren wolle. „Siemens schlägt die eigenen Wurzeln kurz und klein“, sagt Leppek. Schließlich gehe auf die Telefonie der Erfolg des Konzerns zurück.

Jobgarantie läuft bis Ende September 2009

Trillerpfeifen werden laut, als Leppek über Siemens- Finanzchef Joe Kaeser spricht. „Der profitiert, wenn der Aktienkurs steigt, weil Stellen gestrichen werden!“ Karl-Heinz Mierke vom SEN Betriebsrat Ruhr ist zu den Verhandlungen mit der Geschäftsführung von Kassel angereist. Im Kampf um die Arbeitsplätze habe die IG Metall bereits Erfolge verbucht, sagt er zur AZ. „Bei uns sollten schon im vergangenen halben Jahr Stellen abgebaut werden, aber wir haben es verhindern können.“

Aber die Zeit drängt, besonders für die Bewohner des „Gallischen Dorfs“ in der Hofmannstraße. Ende September 2009 läuft die Beschäftigungsgarantie für die Mitarbeiter aus. Dann drohen Kündiungen – und bisher ist kein Kessel mit Zaubertrank in Sicht, der den gallischen Kriegern von der Hofmannstraße helfen könnte.

S.Stephan

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