Zwischen den Stühlen

Glasklar: Hans-Joachim Ruckhäberle inszenierte „Molieres Misanthrop“ im Residenztheater
von  Abendzeitung

Glasklar: Hans-Joachim Ruckhäberle inszenierte „Molières Misanthrop“ im Residenztheater

Immer wieder dieser Ton. Ein Triangel-Schlag, hell, scharf, durchdringend, in den Obertönen schimmernd, ambivalent, verlogen könnte man ihn nennen, wie die Gesellschaft, die sich auf der Bühne des Residenz Theaters zusammenrottet und sich nach jedem Klang in neue Konstellationen begibt.

Hans-Joachim Ruckhäberle läutet in seiner Inszenierung von „Molières Misanthrop“ die Gefechtsrunden ein, die Maschinerie einer tragischen Farce rattert durch im Bühnenbild von Stefan Hageneier: ein Arrangement von 10 Stühlen plus Kanapee, von Urs Schönebaum gnadenlos ausgeleuchtet, weil es auch bei Molière, in der glasklaren Fassung von Botho Strauß, keine Schattenplätze zum Verstecken gibt, sondern sich der Mensch in seiner ganzen Eigenartigkeit, Lächerlichkeit, ja, Menschlichkeit entlarvt.

Alceste ist der hervorstechendste Egomane, seine Haltung am totalitärsten: Absolute „Aufrichtigkeit" fordert er, ein Schlagwort, zu dem Jens Harzer die Arme schlaff hebt wie zu einer längst versiegten La-Ola-Welle. Keiner möchte da mitmachen, und wie er an der Gesellschaft leidet, so leidet sie auch an ihm, weil er als schlechtes Gewissen im falschen Treiben pocht, als Anstands-Wauwau mit Menjou-Bärtchen, hoffnungslos verliebt in die junge Witwe Célimène, für die das Hintenrumreden zum gesellschaftlichen Spiel gehört.

Spieler sind sie alle in diesem gesichtslosen Paris, mit Lust an der Maskerade, die nun mal, so Alcestes Freund Philinte, zum Menschsein dazugehört. Ruckhäberle hat die heutige Kultur der medialen Selbstinszenierungen im Auge, macht den Bezug jedoch nicht offenbar, sondern belässt etwas lahm die Bühne in trügerischer Ruhe, um seinen Darstellern den Lärm zu überlassen. Das macht seine Inszenierung nicht drängend heutig, dafür angenehm unaufdringlich modern.

Dabei durchdringen sich die Spielebenen zu wunderbar oszillierenden Momenten: Wenn Mark-Alexander Solf als Philinte von dem Gerichtsverfahren gegen Alceste berichtet und die Macken des Freunds imitierend parodiert, dann ahmt Solf auch den Schauspieler Jens Harzer nach, der mit seinen Manierismen, allein seinem Sprachduktus jede Rolle färbt und doch auch hier ein scharf konturiertes Original schafft, das den Blick des Zuschauers gefangen nimmt. Ein zwischen Selbstgerechtigkeit und haltloser Liebe hastender Tyrann ist Harzers Misanthrop und dabei ungemein bemitleidenswert.

Ruckhäberle, der viereinhalb Wochen vor der Premiere die Regie von Andreas Wiedermann übernahm, verlässt sich auf sein Ensemble, setzt jeden ins Rampenlicht. Und jeder ist ein Vergnügen. Dichter Oronte wird von Molière/Strauß als „ein leiser, zerstreut und zielstrebig, listig-unsicher erscheinender Mann" beschrieben – was der famose Thomas Loibl genauso differenziert spielt. Nachdem Alceste sein Sonett kritisiert, bricht bei Oronte die Fassade auf, was auch den anderen passiert: Marina Galic sitzt als Célimène zwischen den Stühlen, von der société in die Ecke des Flirts und der Lästerei, von Alceste gen Liebe gedrängt, und zweimal bricht der Druck sich im Schreikrampf Bahn, bis sie sich schweigend Gummistiefel anzieht, weil die Adligen Acaste und Clitandre (Matthias Lier und Dirk Ossig) den Morast ihrer Lügen ans Licht bringen. Den Sumpf gab es schon immer, wildperückt macht Harzer den König – oder den Molière? Der schrieb sich das 1666 uraufgeführte Stück auf den Leib und verarbeitete darin seine unglückliche Liebe zur untreuen Gattin Armande.

Zuletzt will Alceste allein in die Wüste, doch beim letzten Klingeln gehen alle. Der Ton klingt nach. Immerhin: Als Alcestes herrlich verwirrter Diener (Fred Stillkrauth) merkt, dass er eine Botschaft auf dem Küchentisch vergessen hat, eilt er davon. Der Narr kehrt nicht zurück. Vielleicht fand er das Glück...

Michael Stadler

30.4., 9. und 10.5,

19.30 Uhr, Tel. 2185 1940

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