Zum 100. Geburtstag: Rampenlicht für Hilde Knef
Fast wäre sie in die Fänge von Joseph Goebbels geraten: bei einem "privaten Abendessen", wo man die nächsten Schritte ihrer jungen Karriere hätte besprechen können. Doch das Fräulein Knef war unabkömmlich. "Kriegswichtige Probeaufnahmen", gab Else Bongers im Juli 1944 zu verstehen. Die Besetzungschefin der Ufa wusste ihre Schäfchen vor dem "Bock von Babelsberg" zu schützen, zur Not wurde bis Mitternacht gedreht.
Die damals knapp 20-jährige Hildegard Knef entkam der "Casting Couch" des Reichspropagandaministers - und hat dennoch oder gerade deshalb bald von sich reden gemacht, nicht nur als "Sünderin" mit fünf nackten Sekunden. In der pointierten Graphic Novel von Moritz Stetter ist das eindrucksvoll zu verfolgen. Zum 100. Geburtstag der 2002 verstorbenen Allrounderin geht es im Parforceritt durch ein ereignisreiches, schillerndes Leben. Grundlage sind die markanten Sprüche, um die "Die Knef", so der Titel, nie verlegen war.

"Von nun an ging‘s bergab" wird zum Leitmotiv des Knef-Comics
Ihre autobiografischen Bestseller "Der geschenkte Gaul" von 1970 oder "Das Urteil", mit dem sie 1975 ihre Krebserkrankung öffentlich gemacht hat, und ganz besonders ihre Liedtexte sind eine herrliche Fundgrube voll ironischer Selbstbetrachtungen und messerscharfer Analysen. Auch der Misserfolge. "Von nun an ging’s bergab" zieht sich als Leitmotiv durch Stetters Hilde-Revue, und man meint förmlich, ihren Sprechgesang zu hören - vorwiegend im Stakkato und mit der dunkel timbrierten Stimme einer Kettenraucherin.
Geboren in Ulm - doch es ging bald nach Berlin
Dass dieser Prototyp einer Berlinerin am 28. Dezember 1925 unweit des Ulmer Münsters zur Welt kam, hat man nicht unbedingt auf dem Schirm. Der Aufenthalt der kleinen Hildegard Frieda Albertine an der Donau glich auch eher einer Stippvisite. Der Vater, ein Geschäftsmann, starb schon im Jahr darauf an der Syphilis, deshalb zog es die Mutter schnell wieder an die heimische Spree.
Womöglich war das ja die Rettung? Mit dem weichen Akzent des deutschen Südwestens dürfte "Für mich soll’s rote Rosen regnen" nicht ganz so divenhaft lässig klingen. Doch man kann davon ausgehen, dass sich die Knef überall nach oben gearbeitet hätte. Gezielt.
Die Bomben fliegen, doch die Knef denkt nur an ihren Auftritt
Wenn das Ensemble bei Bombenalarm in den Theaterkeller floh und alle panisch wurden, hatte Hilde nur Angst, beim Weiterspielen den Text zu vergessen. Und weil ihr das Warten und das Dulden nicht lagen, stieg sie am Ende des Krieges in eine Soldatenuniform, um als vermeintlicher Kerl unter zig anderen Kerlen aus dem umkämpften Berlin hinauszukommen. Es war nicht das einzige Mal, dass sich die Knef als Mann verkleidet hat - auch, um Vergewaltigungen zu entgehen.

Das süße Mädel liegt ihr nicht
Was von Anfang an auffällt: Weder auf der Bühne noch im Film wird sie für die süßen Mädchenrollen engagiert, wie sie Romy Schneider mit der Sisi oder Sonja Ziemann als ewiges Schwarzwaldmädel prägen sollten. Gleich im allerersten Nachkriegsfilm "Die Mörder sind unter uns" spielt die Knef 1946 eine KZ-Überlebende und wird dadurch international bekannt. Mit der "Sünderin" beginnt 1951 dann ein geradezu bizarres Kapitel.

Der ziemlich mittelmäßige Streifen sorgt für einen unfassbaren Skandal, denn zur superkurzen Nacktszene kommen Tabuthemen wie Prostitution, Sterbehilfe und Selbstmord. Weil Politiker und Kirchenvertreter zum Boykott aufrufen, klingeln die Kinokassen nur umso heftiger, und wie das halt so ist: Die Knef wird dadurch zur Legende.
Entnervt von den enormen Anfeindungen flieht sie nach Amerika, dreht in Hollywood an der Seite von Gregory Peck "Schnee am Kilimandscharo" und feiert rasende Erfolge am Broadway in Cole Porters Musical "Silky Stockings". Typisch Knef: Bei den täglichen Aufführungen verausgabt sie sich bis zum realen Umfallen. Stetter fasst dieses Ringen um Anerkennung, die plötzlich einsetzenden Ängste, den Raubbau am Körper und den irren Tablettenkonsum in intensive Bilder, die zuweilen an surreale Filmplakate erinnern.
"Die größte Sängerin ohne Stimme"
Die Knef lernt in den 50ern einflussreiche Leute kennen, trifft sich mit Marlene Dietrich und Marilyn Monroe. Doch bei allem Eindruck, den sie macht, bleibt die hoch talentierte Frau immer ein Fremdkörper. Für die USA ist Hildegarde Neff, wie sie dort der einfacheren Aussprache wegen genannt wird, nicht glatt genug und überhaupt zu selbstbestimmt. In den Staaten entwickelt die Knef allerdings auch Starqualitäten. Ella Fitzgerald, die Queen of Jazz, bezeichnet sie als "größte Sängerin ohne Stimme" und trifft damit den Punkt.

Nach der Schauspielkariere werden ihre Chansons und die umjubelten Auftritte Anfang 1960er Jahre zu einem Rettungsanker. Durch alle privaten Malaisen hindurch, von den zahlreichen Operationen, die zum Teil auch der Kosmetik geschuldet sind, bis zu ihrer nicht eben einfachen Ehe mit dem Regisseur David Cameron.
Tolle Texte und dazu diese Wahnsinnswimpern

Wenn man heute an Hildegard Knef denkt, hört man ihren unverwechselbaren Sprechgesang. Ganz verzaubert zeichnet sich Autor Moritz Stetter auf einer der letzten Seiten vor einem Plattenspieler. Denn was im Gedächtnis bleibt, sind diese fabelhaften, zeitlosen Texte, die die Knef fast alle selbst geschrieben hat, ihre schnoddrige Stimme natürlich, die Gabe, von der Leber weg packend zu erzählen, und diese tiefschwarzen Wahnsinnswimpern, die wie Krähenflügel über den Augen lagen.
Moritz Stetter: "Die Knef" (Carlsen Verlag, 208 Seiten, 26 Euro)
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