"Yes": Ein sehr zwiespältiger Abend in der kalten Philharmonie
Alles hat ein Ende...nur das Yes-Törtchen hat zwei: Ein sehr zwiespältiger Abend in der kalten Philharmonie
Das schockt mehr als jeder Death Metal: Musiker, die tatsächlich noch Hemden und Karottenhosen von 1983 tragen, als man „Owner Of A Lonely Heart“ für ein irgendwie progressives Stück Rockmusik hielt, Gitarren, denen mindestens alle acht Takte ein neues Effektgerät zugeschaltet wird, eine Bühnendeko aus esoterischen Staubfängern und zuschaltbarem Sternenhimmel. Yes, die Prog- und Artrock-Legende der 70er, spielt in der zu zwei Dritteln gefüllten und zu null Prozent geheizten Philharmonie.
Die ersten vier Stücke (was bei Yes fast eine Stunde Lebenszeit bedeutet) sind purer Horror: süßlich-klebriger Jazzrock (der Opener „Siberian Khatru“), gruseliger Monsterkitsch („I’ve Seen All Good People Play“), der neue Sänger Benoit David, der zwar sehr passabel Jon Andersons Falsett kopiert, aber sich streberhaft in peinlichste Posen zwischen Ausdruckstanz und Schwangerengymnastik wirft. Mit dem schlimmen Sülz-Anfall „And You And I“ ist etwa zur Hälfte des zweieinhalbstündigen Konzerts der Tiefpunkt erreicht: Nein zu diesem Yes-Törtchen, das seine Mindesthaltbarkeit deutlich überschritten hat. Als dann Saitengott Steve Howe mit Halbakustischer, Dulcimer und Gitarren-Synthesizer zum Solo schreitet, überzeugt zumindest das goldene Handwerk: Ja, der kann es, kein Zweifel, gleich ob Psycho-Sound, Altspanisches oder schrullig verfremdet bis zum spinettartigen Klang.
Tatsächlich dreht sich das Konzert – und aus einer schlechten Karikatur wird eine Reminiszenz an große, alte Tage: pompöser, größenwahnsinniger Artrock, herrliche Kiffermusik („Heart Of The Sunrise“, „Roundabout“ und die Zugabe „Starship Trooper“). Das reißt das Publikum, das offenkundig viele Jugenderinnerungen mit der Band verbindet, aus den Sitzen. Die Bilanz von Yes 2009? – Cool sind sie nicht, cool waren sie nie. Die sind nicht böse, die wollen nur spielen. Und eine Typberatung könnte nicht schaden.
Michael Grill
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