Wir sind depressiv und vollgefressen
Schon zu Beginn der Intendanz von Margit Bönisch war Nikolaus Paryla ein Zugpferd in der Komödie im Bayerischen Hof. 1992 spielte und inszenierte er Goldonis „Diener zweier Herren”. Nun feiert die Theaterleiterin ihr 20. Jubiläum und den 50. Geburtstag der Bühne. Wieder mit Paryla: Diesmal ist er „Der eingebildete Kranke” von Molière, wieder in eigener Regie. Heute ist Premiere.
AZ: Herr Paryla, Sie inszenieren gerne Lustspiele der Commedia dell’arte und spielen selbst die Hauptrolle. Warum diese Doppelfunktion?
NIKOLAUS PARYLA: Anfangs habe ich einen Regisseur gesucht, aber keinen geeigneten gefunden. Die meisten Regisseure haben kein großes Interesse mehr an der Commedia dell’arte. Molière ist zwar nicht mehr Commedia dell' arte, aber dieses Stück steht ihr nahe: Argan entspricht dem Pantalone, Toinette der Colombina. Heute wollen die Regisseure alles modern machen. Harlekin in Jeans – das ist legitim, aber ich hab’s nicht so gerne. Ich benutze die alten Formen, um die Modernität und oft verblüffende Aktualität der Stücke sichtbar zu machen. Außerdem gibt es eine uralte Tradition, dass der primo attore, der Hauptdarsteller, auch das Drumherum inszeniert. Die Stückeschreiber und Schauspieler Nestroy, Eduardo de Filippo, Dario Fo haben auch Regie geführt. Diese Einheit funktioniert bei Komödien ganz gut. Ich würde nicht den König Lear spielen und selbst inszenieren. Aber diese alten, fast slapstickhaften Formen aus dem Zentrum heraus zu organisieren, ist sehr wirkungsvoll. Mein Vater Karl Paryla hat das auch oft gemacht. So hat es sich eingebürgert, dass ich selber inszeniere. Und ich bin immer gut vorbereitet. Ich will eine präzise Form, ohne irgendjemanden – auch mich nicht – zu etwas zu zwingen.
Hypochonder Argan misst seine Gesundheit an der Menge der Artzney: je mehr, desto besser. Was ist an ihm aktuell?
Argan ist als reicher Mann eine typische Figur für die übersättigte, wohlhabende Verfressenheit in unserer Kultur. Uns geht’s viel besser als dem Rest der Welt. Aber wo’s den Konsumenten besonders gut geht, sind schlechte Laune, Egoismus und Verdruss viel ausgeprägter. In Indien haben die Leute nichts zu essen, aber lachende Augen. Wir sind depressiv, vollgefressen, fühlen uns unwohl. Und haben Angst, nachts in die U-Bahn zu steigen, weil soviel Aggression herrscht. Argan hat wahrscheinlich eine schwere Depression, gibt sie sich aber nicht zu. Darunter ist er im Grunde ein lieber, gutmütiger Kerl – das beweisen ihm die anderen. Er erkennt sich selbst, verändert sich, und wird ein netter, umgänglicher Mensch.
Halten Sie ihn am Ende wirklich für geheilt?
In Molières Original gibt es als Reminiszenzen an die Commedia dell’arte pantomimische und tänzerische Zwischenspiele, die heute kaum noch gespielt werden. Da muss ein Schauspieler blitzschnell von seiner Rolle in die Pantomime wechseln. Gerade damit kann man zeigen, dass ein Charakter sich ändern kann. Wir haben ab und zu einen winzigen Hauch dieser Zwischenspiele mit reingenommen.
Argans Bruder Berald prangert die Scharlatanerie der Doktoren an. Ist die Kritik noch gültig?
Unbestreitbar, wenn man die Statistiken liest, wieviel Hunderttausende Menschen an Nebenwirkungen von Artzney sterben, die nicht nötig oder gefährlich sind. Zu Molières Zeiten waren das ja meist natürliche Mittel, heute trennen wir zwischen Schul- und alternativer Medizin. Wenn man das ein bisschen spirituell betrachtet, ist es erstaunlich, was Berald sagt über die Selbstheilungskräfte der Natur. Bei uns ist das ein konstruktives Gespräch. Am Ende bringen die Leute aus dem Karneval Lebensfreude und Spaß ins Zimmer, alles löst sich in einer charmanten, mediterranen Feststimmung auf.
Sie sind auch vor der Kamera sehr gefragt.
Gerade habe ich einen Film mit Marcus H. Rosenmüller gedreht, „Wer’s glaubt, wird selig”, da spiele ich einen Papst. Und in Wien haben wir die Serie „Der Mediator” angefangen.
Ihr Lebenserfolg ist der „Der Kontrabass”von Patrick Süskind. Seit 1981 haben Sie den Monolog etwa 700 Mal gespielt.
Wird Ihnen das nie über?
Sänger singen doch auch ihr Leben lang dieselben Partien und Clowns spielen immer dieselben Nummern. Natürlich muss man aufpassen, dass man nicht in Routine rutscht. Aber für mich ist es eine Gnade, so ein Stück zu haben, das ich immer wieder spielen darf.
Komödie im Bayerischen Hof, bis 10. März, Tel.29161633, www.komoedie-muenchen.de
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