Wir sind das Fernsehen!

Der Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung provoziert mit seiner Kandidatur als ZDF-Intendant das „schäbige Mittelmaß” der Öffentlich-Rechtlichen. Eine Abrechnung.
von  Robert Braunmüller

Programmdirektor Thomas Bellut war lange der einzige Kandidat für die Nachfolge des langjährigen Senderchefs Markus Schächter. Das undemokratische Wahlverfahren ärgert Claudius Seidl, den Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Er bewarb sich in einer Glosse um den Job. Bei Facebook fand die Idee bis gestern Nachmittag immerhin schon 1673 Unterstützer.

AZ: Warum wollen Sie unbedingt Intendant werden?

CLAUDIUS SEIDL: Von wollen kann gar keine Rede sein. Es wäre eher ein Opfer, denn ich habe bei der FAS den fantastischsten Job der Welt.

Also war es nur ein Witz?

Nein. Nicht ich bin der Witzbold, sondern die Zustände beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen sind mittlerweile so absurd, dass es nur noch komisch ist.

Was stört Sie denn so?

Über die Jahre sind die Gebührensender immer dicker und fetter geworden. Je größer die Apparate aufgebläht wurden, desto schäbiger wurde das Mittelmaß des öffentlich-rechtlichen Programms.

Sie fordern mehr Qualität?

Das ist keine messbare Größen. Wenn man so argumentiert, gerät man leicht in den Verdacht, ein bildungsbürgerlicher Feuilleton-Schnösel zu sein. Ich will keine Geschmackskontrolle, sondern frage mich: Was macht das ZDF, was es nicht auch bei den Privaten gibt?

Sie wollen rauswerfen, was es anderswo umsonst gibt?

Genau. Ich bin nicht der allerfanatischste Fußballfan, aber ich schaue sehr gern die Champions League. Früher lief die bei Sat1, nun zahlt das ZDF 40 Millionen dafür. Das offenbart die ganze Hybris und den Schwachsinn des Systems. Fußball läuft sowieso. Dafür müssen nicht unsere Gebührengelder verpulvert werden.

Wie wird man denn eigentlich Intendant beim ZDF?

Den wählt der Fernsehrat. Wenn man sich die Liste der Mitglieder durchschaut, wird einem ganz schlecht. Sie beginnt mit Vertretern der Länder, die sich natürlich aus Abgeordneten und damit aus Parteipolitikern zusammensetzen. Die Parteien schicken zusätzlich weitere Leute. Höchstens die Vertreter der Kirchen verdanken ihren Sitz nicht einer Partei oder sind von ihr entsandt. Und das soll dann das staatsferne Fernsehen sein? Es ist ein Hohn.

Wenn Sie den Fernsehrat kritisieren, schwinden allerdings Ihre Wahlchancen.

Naja, eigentlich haben wir doch alle andere Sorgen als das Fernsehen, das sich immer mehr in die Irrelevanz bugsiert.

Ihnen geht’s also ums Prinzip.

Zu den erfreulichsten Erscheinungen der Gegenwart gehört doch, dass die Leute die Dinge nicht mehr fernen Entscheidungsträgern überlassen. Ich bin gar nicht sicher, ob mir die Bahnhofsgegner in Stuttgart sympathisch sind. Aber der Hang, einen Common Sense zu entwickeln, gefällt mir. Das sollte vor den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht halt machen.

Angenommen, der Fernsehrat wählt Sie doch. Was tun Sie dann?

Ich bin nicht so naiv, an die Allmacht eines Intendanten zu glauben. Der Apparat ist stark, Das erste Ziel eines Intendanten wird gewiss sein, die eigene Macht zu sichern. Um was zu ändern, müsste man wohl schon einen sehr dicken Bohrer nehmen.

Ich schaue selbst kaum fern. Verpasse ich wirklich was?

Nach dem neuen Gebührenmodell müssen bald auch Fernsehverweigerer zahlen, wenn sie einen internetfähigen Computer besitzen. Das heftig gescholtene amerikanische System bringt erstaunlichere Serien hervor, die in ihrer Komplexität den Roman als großes Gesellschafts- und Lebensbild beerbt haben.

Und bei uns ist alles Mist?

Nein, das Deutsche Fernsehen war früher der Erfinder toller Serien. Beim Bayerischen Fernsehen gibt es ganz gute Serien wie „Dahoam is dahoam”.

Das sieht der Rechnungshof aber anders.

Das öffentlich-rechtliche Fernsehen muss sich auf seinen Kernauftrag besinnen, Programme zu erfinden, die Private nicht bringen. Deshalb sage ich: Wir sind das Fernsehen! Ihr lebt von unserem Geld!

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