„Wir alle lügen gerne“

Filmfest München, zum guten Schluss: Regisseur Andreas Dresen über seine Tragikomödie „Whisky mit Wodka“ und deren Wahrheitsgehalt in der Realität
von  Abendzeitung

Filmfest München, zum guten Schluss: Regisseur Andreas Dresen über seine Tragikomödie „Whisky mit Wodka“ und deren Wahrheitsgehalt in der Realität

Durch den hinreißenden Wort- und Situationswitz schimmert Melancholie in Andreas Dresens „Whisky mit Wodka“, einem Publikumsliebling des Filmfest München (ab 3. September im Kino). Dem großspurigen, trinkfreudigen Filmstar Otto (Henry Hübchen) wird nach einem Patzer bei Dreharbeiten an der Ostsee ein Ersatz an die Seite gestellt. Der Produzent will es so, der Regisseur knickt ein. Am Set entwickelt sich ein grotesker Machtkampf, in den auch Bettina (Corinna Harfouch), einst Ottos Geliebte, verwickelt wird.

AZ: Herr Dresen, die Berlinale ist ja ein Heimspiel für Sie und Sie sind regelmäßig Gast internationaler Festivals bis hin zu Cannes. Was bedeutet Ihnen das Filmfest München?

ANDREAS DRESEN: Auf der Berlinale im Februar werde ich regelmäßig krank. Hier ist es schön, auch wenn man vor der Premiere seines Films immer aufgeregt ist, und ihr habt ein aufgeschlossenes Publikum. Anders als bei Wettbewerbs-Festivals kann man die Sache selbst, den Film, ein wenig feiern, Kollegen und Freunde treffen, Kontakte pflegen, entspannte Arbeitsgespräche mit Autoren führen.

Das Drehbuch hat, wie schon für „Sommer vorm Balkon“, Michael Kohlhaase (78) geschrieben. Seine Dialoge wirken modern und zeitlos gültig zugleich.

Diese Ernsthaftigkeit hinter der Komik, dieses mit leichter Hand Dinge erzählen, die sehr schmerzhaft sind – das kann so nur der jung gebliebene Wolfgang.

„Alle lieben die Wahrheit, und jeder lügt“, ist so ein Satz.

Das ist nicht nur im Filmgeschäft so, sondern hat auch viel mit unserem Alltag zu tun. Wir lügen uns doch alle gerne die Taschen voll. Im Grunde erzählt Wolfgang eine tieftraurige Geschichte über verpasste Chancen.

Aber wie er und Sie das tun, das wirkt als Stimmungsaufheller. Und die Filmleute sind schon ein eigenes Völkchen, nicht wahr?

Das muss man sich so vorstellen: Man trifft aufeinander für zwei Monate konzentrierter Arbeit an einem Film, beschäftigt sich mit Geschichten und Charakteren, die aufs Privatleben übergreifen können. Man wächst intensiv zusammen und streitet auch mal, da sind große Emotionen am Start, die Dinge spitzen sich zu – und werden sichtbar, auch außerhalb der Filmwelt, des Sets. Es geht im Grunde immer um die Fragen: Was mache ich mit meinem Leben? Welche Prioritäten setze ich? Der arme Otto stellt am Ende fest, dass er nur in einer Scheinwelt gelebt und nichts hat, keine echten Beziehungen, keine Kinder, keine wahrhaftige Identität, nichts.

Wenigstens hat er noch sein nicht zu kleines Ego, und seine Ausbrüche im Suff sind meist urkomisch.

In der Talkshow-Szene lässt Kohlhaase den leicht befeuerten Otto Marcello Mastroianni zitieren: „Am meisten vögeln ohnehin die Kameraassistenten.“ Stimmt vielleicht, die sitzen schön oben auf ihrem Kran, haben den totalen Überblick und vor allem Zeit, die Regisseure nicht haben. Ich hatte noch nie was beim Drehen, aber das bedauere ich überhaupt nicht.

Aber Sie sind ein Regisseur, den alle Schauspieler geradezu lieben, was man so hört.

Und ich mag meine Schauspieler und betrachte sie nicht als Feinde, wie so mancher prominente Kollege das tut. Ich weiß, was ich will, und muss nicht rumbrüllen, werde höchstens dezidierter in meinen Ansagen. Ich versuche immer, den Druck wegzukriegen von den 80 bis 100 Leuten am Set. Alle haben Angst, da hängt viel Geld dran, Verantwortung, Ehrgeiz. Aber wenn man alles zu ernst nimmt, geht’s schief. Schauspieler verkrampfen im Erwartungsdruck. Ein Regisseur muss auch mal Psychologe sein.

„Wolke 9“ und „Whisky und Wodka“ haben Sie gleich hintereinander gedreht. Ein Kraftakt. Gönnen Sie sich jetzt Urlaub?

Von München aus geht’s nach Tschechien zum Festival in Karlovy Vary und im August nach Santiago in Chile, da sitze ich in der Festival-Jury und man widmet mir eine Retrospektive. Danach werde ich mit meiner Freundin durch Chile reisen, darauf Freude wir uns sehr.

Angie Dullinger

Samstag, 19 Uhr, Rio

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