Wilde Beschwörung der Unterwelt

In St. Gallen zu entdecken, in München zu erleben: Giovanni Simone Mayrs Oper„Medea in Corinto“
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In St. Gallen zu entdecken, in München zu erleben: Giovanni Simone Mayrs Oper„Medea in Corinto“

Schon zu Händels Zeit wurde die Opera seria totgesagt. Aber sie wurstelte sich 100 weitere Jahre durch und erlebte mit Gioachino Rossinis „Tancredi“ als romantisches Melodramma 1813 in Venedig ihre triumphale Wiedergeburt.

Im gleichen Jahr wurde Giovanni Simone Mayrs „Medea in Corinto“ am Teatro San Carlo in Neapel uraufgeführt. Der 1763 nahe Ingolstadt geborene Komponist gilt als Schlüsselfigur für die Verwandlung der heroischen Oper in zwei Jahrzehnten nach Mozarts „La clemenza di Tito“. Napoleon wollte ihn als Hofkapellmeister nach Paris locken, aber Mayr blieb lieber in Bergamo, wo Gaetano Donizetti sein berühmtester Schüler wurde.

Ganz der alte, unser David Alden

Im Juni bringt der Regietheater-Veteran Hans Neuenfels Mayrs Version des Medea-Stoffs auf die Bühne des Nationaltheaters. Schon jetzt ist das Werk in St. Gallen zu sehen. Dort ist seit zwei Jahren Peter Heilker Operndirektor. Der ehemalige Dramaturg der Bayerischen Staatsoper gewann als Regisseur einen alten Bekannten: David Alden, den Lieblingsregisseur von Sir Peter Jonas.

Die Aufführung war vor allem herausragend. Mayrs „Medea in Corinto“ klingt für heutige Ohren älter als die von Maria Callas wiedererweckte Vertonung des gleichen Stoffs durch Luigi Cherubini. Aber sie entstand eineinhalb Jahrzehnte später im Geschmack aristokratischer Unterhaltung, die gefallen, aber nicht verletzen will. Arien werden von konzertierenden Instrumenten begleitet, Creusa singt Hübsches zur Begleitung zweier Harfen, und ehe Medea ihre beiden Söhne ermordet, hat der erste Geiger im Graben noch einen großen Violin-Auftritt.

Um diese Oper zur Wirkung zu bringen, braucht es gute Sänger. Und da bietet das kleine St. Gallen mehr als manches großes Haus. Die erstaunlichen Tenöre Lawrence Brownlee (Egeo) und Mark Milhofer (Giasone) haben weder mit der extremen Höhe noch den halsbrecherischen Koloraturen Mühe. Elzbieta Szmytka ist als Medea lyrisch genug, um ihren untreuen Gemahl im zentralen Duett glaubhaft zu becircen. Wenn sie das Gewand ihrer Rivalin vergiftet, gelingt es der Sängerin, einem jenes wohlige Rieseln über den Rücken zu jagen, das sich nur in großen Opernmomenten einstellt.

Migranten-Schicksal

In dieser wilden Beschwörung der Unterwelt springt Mayr kopfüber vom Pathos der alten Seria in die neue Welt der Romantik. Allein deshalb ist es wert, diese Oper aufzuführen, obwohl die letzte halbe Stunde mit Medeas Doppelkindsmord und Giasones Verzweiflung ziemlich blass bleibt, weil es für Katastrophen in der Musiksprache der Opera seria keine Töne gibt.

Da konnte auch die Inszenierung nichts retten. David Alden erzählte präzise und verständlich. Er ironisierte den napoleonischen Pomp und konfrontierte ihn mit zerstörten Plattenbauten aus Medeas kaukasischer Heimat. Deren Migranten-Schicksal rückte damit näher an die Zuschauer heran, die Alden so dankbar applaudierten, wie es der Regisseur in seiner Zeit in München nie erlebt hat.

Robert Braunmüller

Wieder am 24. und 28.10. sowie im November. Infos unter www.theatersg.ch

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