Wie Tänzer Klappräder aus China importieren
Das Bayerische Staatsballett gastierte mit Choreographien von Marius Petipa, Hans van Manen und William Forsythe in Peking
Dass China das „Land des Lächelns“ sei, wie es Franz Lehár behauptete, gehört zu den charmanten Ungereimtheiten, denen die Operette einst ihre Erfolge verdankte. Heute geht es in den Straßen Pekings robust zu, eine grüne Fußgänger-Ampel ist längst keine Lebensversicherung, und nicht einmal beim Feilschen um ein Souvenir kommt Freude auf.
Wen wundert’s. Noch immer liegt das jährliche Durchschnitts-Einkommen der Bewohner Pekings bei etwa 2000 Euro. Wer kann sich da überhaupt eine Karte leisten, wenn das Bayerische Staatsballett im supermodernen National Center for the Performing Arts gastiert, um dreimal Petipas „Raymonda“ und zum Finale ein gemischtes Programm mit Choreografien von Hans van Manen und William Forsythe vorzuführen?
Wer geht ins Ballett, um SMS zu schreiben?
Aaron Wu vom Programm-Departement des im Volksmund „The Egg“ genannten Gebäudekomplexes, in dem jährlich etwa 900 Veranstaltungen stattfinden, hat die Frage erwartet. Für das Münchner Gastspiel sei das teuerste Ticket zu 68 Euro zu haben: „Aber wir halten immer etwa 200 Karten zwischen ein und vier Euro bereit.“ Danach bittet er höflich um die Visitenkarte des Fragestellers.
Während der Vorstellungen durfte gerätselt werden, wer auf den teuren Plätzen saß. Es war ein ständiges Kommen und Gehen. SMS wurden geschrieben. Mit Begeisterung reagierten vor allem die oberen Ränge. Dort hatten sich die Fans versammelt. Münchens Ballettchef Ivan Liska nahm die Unruhe gelassen: „Tanz ist für die Chinesen in erster Linie Unterhaltung.“
Wie bayrisch ist das Staatsballett?
Auf der Pressekonferenz zum Auftakt des Besuchs wollte man von ihm wissen, welches denn die deutschen Eigenschaften dieser bayerischen Compagnie sind. Da musste er dann doch etwas nachdenken. Es war wie in der Fußball-Bundesliga:Die Hauptakteure, die neben ihrem Chef und Trainer saßen, waren weder Münchner noch Deutsche. „Wir sind Europäer“, zog sich Ivan Liska aus der Affäre. Auch die nächste Frage musste ihn überrascht haben: Warum, um Himmels willen, begibt er sich selbst auf die Bühne, um mit Judith Turos in „The Old Men and Me“ zu tanzen? Schließlich sei er doch der Chef.
„Herrliche Farben, hemmungslose Leidenschaft“ versprach das chinesische „Raymonda“-Plakat. 6000 Besucher ließen sich davon anlocken und sahen die vier Vorstellungen, was einer Platzauslastung von etwa 70 Prozent entsprach. Vor allem junge Menschen waren gekommen, neugierig und bereit, sich auf Modernes einzulassen. Forsythes „Enemy in the Figure“ wurde mächtig gefeiert und löste spontan eine lebhafte Diskussion zwischen Ivan Liska und jener interessierten Minderheit aus, deretwegen man die weite Reise angetreten hatte.
Rückkehr mit Souvenirs
Die tänzerischen Leistungen, etwa von Lisa-Maree Cullum, Alen Bottaini und Marlon Dino in „Raymonda“ waren trotz hochsommerlicher Hitze bewunderungswürdig. Hans van Manens „Adagio“ aus Beethovens Hammerklaviersonate, etwas unglücklich an den Beginn des gemischten Abends gesetzt, stieß, wohl wegen seiner allzu klassizistischen Strenge, auf Unverständnis.
Das unvermeidliche Souvenir-Problem lösten einige aus der Staatsballett-Crew übrigens mit staunenswerter Fantasie. Klappräder waren der große Renner. Als Handgepäck zwar eher ungeeignet, aber es gab ja die Container für die Requisiten.
Volker Boser