Wie Hitler zum Bestseller wurde
Der Debüt-Roman des Münchner Autors wird nun in 27 Sprachen übersetzt und verfilmt. Warum die Feuilletons diesen Erfolg nicht verhindern konnten
Er ist immer noch da. Ganz oben auf der „Spiegel“-Bestsellerliste. Vor Adler-Olsen, Coelho oder Follett prangt der Name Timur Vermes in Rot. Und das schon seit Monaten. Das Werk „Er ist wieder da“ des Münchner Autors ist der Überraschungserfolg der laufenden Buch-Saison, die mit der Frankfurter Buchmesse im Herbst beginnt. Und das gleich in mehrfacher Hinsicht.
Da sind zum Einen die nackten Zahlen: Mehr als 400 000 Bücher sind von dem charakteristischen Hardcover-Band mit Seitenscheitel vorn und Titel in Bart-Form in den vergangenen fünf Monaten verkauft worden. Und die halbe Million ist schon in Sichtweite. Hinzu kommen 150000 Exemplare des Hörbuchs, das von Christoph Maria Herbst gesprochen wird, und Downloads im Internet. Das Buch wird zurzeit in 27 Sprachen übersetzt – unter anderem ins Chinesische, Arabische und Japanische.
Bald gibt's "Er ist wieder da - der Film"
Außerdem seien gerade die Filmrechte verkauft worden, bestätigt Vermes im Gespräch mit der AZ. An wen, darüber will er nichts sagen.
Da ist zum Zweiten das Thema: Hitler. Nicht irgendein toter Hitler. Sondern einer, der im Sommer 2011 quicklebendig auf einer Brache in Berlin-Mitte erwacht, um – Demagoge wie eh und je – Karriere in der TV-Branche zu machen.
Hat der Leser die logische Kröte geschluckt, dass Hitler offensichtlich 66 Jahre unversehrt und ungealtert im Irgendwo verbracht hat, wird er in einen gefährlichen Strudel aus Erheiterung und Abscheu, bemühter Distanz und erzwungener Nähe gezogen. Denn Timur Vermes erzählt aus der Ich-Perspektive.
Der Leser landet in Hitlers Kopf. Liest, wie er denkt. Weiß, was er fühlt. Ertappt sich, dass er mit ihm fühlt. Lacht ihn aus, aber lacht auch manchmal mit ihm. Und schämt sich bestenfalls dafür.
Besprochen wurde das Buch erst nach Monaten
Da waren zum Dritten die veröffentlichten Reaktionen auf das Buch. Diese waren anfangs nicht einmal schlecht – sie waren einfach nicht existent.
Selbst als „Er ist wieder da“ in die Bestsellerlisten eingestiegen war, hielten sich deutsche Publikumsmedien mit Besprechungen zurück. Relativ früh finden Volker Isfort von der Abendzeitung und Oliver Jungen von der „FAZ“ das Werk zwar relativ komisch, aber auch relativ zu lang.
Der „Stern“ entdeckt das Buch drei Monate nach Erscheinen und findet es „geschmacklos“. Die „Süddeutsche Zeitung“ schwingt noch mal drei Wochen später die Moralkeule und urteilt: „verharmlosend“ und „politisch überraschend naiv“. Vier Wochen zuvor war das Buch erstmals auf Platz 1 der „Spiegel“-Liste gelandet. Aber beim Thema Hitler und Nationalsozialismus ist eine gewisse Skepsis gegenüber dem Massengeschmack gewiss angebracht.
Der erste Roman des früheren Abendzeitung-Journalisten
Das Überraschendste an diesem Bucherfolg ist aber: „Er ist wieder da“ ist der erste Roman des 45-jährigen Timur Vermes. Sicherlich, der gebürtige Nürnberger hat das Schreiben gelernt.
Zuerst bei der Abendzeitung, wo er zum Redakteur ausgebildet wurde. Für den Kölner „Express“ hat er sich mit der Kommunalpolitik in der Domstadt herumgeschlagen, für Magazine wie „Brigitte“, „Shape“ („für Frauen, die in Form sein wollen“) und auch für „Spiegel Online“ geschrieben.
Danach hat er sich als Co-Autor – wie Ghostwriter genannt werden, wenn sie genannt werden – um die Lebensgeschichten von Michael Hirte, den Mann mit der Mundharmonika, oder Peymann Amin, den Mann mit den Models, gekümmert. Aber die reale Lebensgeschichte von mittelmäßig Bekannten aufzuschreiben, ist etwas ganz anderes als der Biografie des größten Massenmörders des 20. Jahrhunderts in einem Roman noch ein paar erfundene Kapitel anzufügen.
"Die Kontrolle kommt ein bisschen spät"
Das findet übrigens auch Timur Vermes. Der wundert sich nämlich, dass ihn die Presse so lange unbeobachtet gelassen hat. „Ich hätte mir schon etwas früher auf die Finger geschaut“, sagt er der AZ, als wir ihn in einem Münchner Café zum Gespräch treffen. „Wir reden hier ja nicht von einem Krimi, mein Buch hat Hitler und das Dritte Reich zum Thema. Wenn ich da mit einer Warnung warte, bis sich so ein Werk 400000 mal verkauft hat, kommt die Kontrolle ein bisschen spät“, ärgert sich der Journalist, der so etwas „fachlich schlecht findet“.
Und das ist fast gar nicht scherzhaft gemeint. Denn Timur Vermes nimmt seinen Humor sehr ernst. Es ist dieser Humor in seinem Buch, der den Leser spüren lässt, wie politisch verführbar man selbst ist.
„Wenn Ihnen nicht mindestens einmal beim Lesen das Lachen im Hals stecken bleibt, beobachtet Sie hoffentlich schon der Verfassungsschutz“, sagt Vermes. Denn es gibt viele Stellen in „Er ist wieder da“, an denen man sich ertappt, dass man Hitler die Daumen hält. Am perfidesten ist wohl die, in der Hitler auf NPD-Chef Holger Apfel trifft und man sich nicht nur insgeheim wünscht, der „Führer“ würde den Salon-Faschisten mal so richtig zur Minna machen – was der auch prompt tut.„Ja, das ist echt kein fairer Text“, sagt Vermes.
"Nicht mein Ansatz, Neonazis zu bekehren"
Was tun, wenn das die falschen Leute gut finden? Vermes kann's nicht ändern: „Es kann nicht der Ansatz dieses Buchs sein, Neonazis zu bekehren. Lieber ist mir, ich bringe der Mehrheit der Nicht-Neonazis in diesem Land näher, wie Hitler getickt hat, warum er etwas gemacht hat und wie es sein konnte, dass es so viele Menschen gab, die das alles ganz toll fanden.“
Dafür hat sich Vermes in die Person Hitler vertieft. Er recherchiert. Lädt sich „Mein Kampf“ aus dem Internet runter, weil er es albern findet, dass man Hitlers Buch in Bayerns Bibliotheken nur unter Aufsicht lesen darf. Schaut sich Reden an, liest die Monologe aus dem Führerhauptquartier.
„Dabei erkennst du seine relativ schlichte Art, von Hölzchen auf Stöckchen zu kommen, siehst, wie er seine relativ schlichte Denke auf Hunde, auf Ernährung, auf Autofahren, einfach auf alles anwendet. Da bekommst du als Autor Lust, auf die Art und Weise mal andere Themenfelder durchzudeklinieren."
Zunächst entstehen so 50 Seiten seines Erstlingswerks. Die gibt er seinem Agenten, der auch seine Ghostwriter-Dienste vermarktet. „Ich sag' dir nicht, worum's geht – lies einfach!“
Über die Hitler-Schwelle drüberhelfen
Mit diesen Worten drückt er ihm das Exposé in die Hand. Auch weil Vermes weiß, dass trotz des Hitler-Hypes bei Spiegel & Co. viele Leute von dem Thema einfach nichts mehr lesen möchten. „Und über diese Schwelle musst du deinem Leser halt drüberhelfen“, sagt er.
Mit diesen 50 Seiten und der Devise „Lest!“ trat auch sein Agent an elf Verlage heran, zehn zeigten Interesse. Einig wurde man sich mit Eichborn – dem legendären Verlag mit der Fliege, der 2011 Konkurs anmeldete und unter dem Dach von Bastei Lübbe einen Neuanfang wagte.
„Er ist wieder da“ sollte dazu passenderweise den programmatischen Auftakt bilden. Eichborn und Vermes setzen hierfür auf Vermittler, die in Zeiten von Amazon und E-Books schon fast an den Rand gedrängt schienen: die Buchhändler.
Man trifft sich, man redet, man weckt Begeisterung: „Du musst den Buchhändlern auch über die Hitler-Schwelle helfen. Ihnen zeigen: Dieses Buch ist von einem Nicht-Nazi. Der vielleicht ein bisschen schräg ist, aber in Ordnung“, erinnert sich Vermes an die zahlreichen Gespräche.
Christoph Maria Herbst spricht das Hörbuch
Der Buchhändler wiederum geht auf seinen Kunden zu und sagt: Ich hätt's auch nicht gedacht, aber lesen Sie da mal rein. „Das ist eine Empfehlungskette, die bis heute weiterwirkt“, sagt Vermes. Ein Domino-Effekt, der durch das Hörbuch des Stromberg-Darstellers Herbst noch einmal verstärkt wurde.
Das Buch, besonders aber das Hörbuch, findet vor allem bei 20- bis 30-Jährigen großen Anklang. „Die laden das Hörbuch runter und hören es gemeinsam an, so wie wir früher Hui-Buh-Platten gehört haben“, weiß Vermes.
Sollte das stimmen, sollte man wohl besser darüber mal debattieren.
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