Wenn die Wüste explodiert

Der Kunstverein präsentiert den libanesischen Künstler Akram Zaatari
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Der Kunstverein präsentiert den libanesischen Künstler Akram Zaatari

Ein Mann sitzt im Dämmerlicht und bastelt. Mit ruhiger Hand, fast meditativ, faltet, rollt, klebt er. Das Ergebnis ist eine Bombe. Dieses nachhaltig erschreckende Video zeigt den Bombenbau allerdings nicht dokumentarisch in Echtzeit, sondern in einer nachgestellten Szene. Protagonist ist ein ehemaliger libanesischer Milizionär – der sich aktiv an sein früheres Leben erinnert.

Akram Zaatari hat ihn dabei gefilmt. Der Münchner Kunstverein, unter Stefan Kalmár fast schon Garant für spannende, mitunter sperrige, aber hochaktuelle Gegenwartskunst, präsentiert jetzt eine sehenswerte Auswahl von Film- und Foto-Aufnahmen des libanesischen Künstlers (42, geboren in Beirut).

Geschichte als Erfahrung

Zaatari, der mit zwei Mitstreitern auch die „Arab Image Foundation“ gründete, geht es darum, die Hintergründe von Fotografien aufzudecken und zu zeigen, inwieweit sich die kollektiv übermittelte Version des Zeitgeschehens vom subjektiven Erleben unterscheidet. „Geschichte als Erfahrung“ im Unterschied zu „Geschichte, wie sie geschrieben wird“, so Zaatari. „Ich lebe in einem Land, das vom Krieg gezeichnet ist. Ich interessiere mich dafür, was der Krieg mit der Erinnerung und der Identität der Menschen macht“, erkärt er seine Arbeit, die eine eindringlich-leise Variante der Docu-Fiction ist.

Bilder sind eindimensional, die Hintergründe meist komplex. So wie bei dem Zeitungsfoto, das den Hisbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah im Juli 2008 inmitten von mit Israel ausgetauschten libanesischen Gefangenen zeigt. Darunter Samir al-Qintar, einstiger Fatah-Kämpfer, der Teil des Deals war, mit dem die Israelis zwei ihrer Soldaten zurückholten – von denen bis zum Schluss nicht klar war, ob sie noch leben. Und die am Ende im Sarg zurückkehrten. Ihre „Entführung“ oder „Gefangennahme“, je nach Interpretation der gegnerischen Parteien, war Auslöser für den zweiten Libanonkrieg 2006 und die heftigen Bombardements Beiruts durch Israel.

Versehrte Schönheit

Dass Samir al-Quintar deutlich sichtbar eine Hisbollah-Uniform trägt – obwohl er nie zur islamistischen Hisbollah gehörte, aber eben von ihr „befreit“ wurde – ist eine Feinheit, die man in westlichen Medien weder erkennt noch versteht. Zaatari setzt auf solche Details den Augenmerk. Auf diese Weise will er über Ursachen und Wirkungen des heillos verfahrenen Nahost-Konflikts aufklären – in dem auch die Sprache als Waffe verwendet wird. Wer den einen als Widerstandskämpfer gilt, ist den anderen ein Terrorist.

Zaatari zeigt aber auch die versehrte Schönheit seiner Heimat. Und kombiniert die Bombenexplosionen des ersten Libanonkriegs („Saida“) 1982 mit Familienfotos: Als Symbole, die Normalität in Zeiten des Krieges weitestmöglich aufrecht zu erhalten. Ganz ohne blutige Drastik vermag Zataari es, die großen Schrecken des Krieges ebenso wie die feinen Risse, die von den Detonationen noch lange bleiben, sichtbar zu machen.

Roberta De Righi

Kunstverein (Galeriestraße 4), bis 24. Mai, Di – Fr 12 bis 19, Sa/So 11 bis 18 Uhr

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.