Wenn die Welt am Trieb erstickt
Der neue Roman der 80er-Jahre-Ikone Nick Cave ist eine brutale Erzählung aus der Arbeiterklasse um das Elend der Dauergeilheit
Bunny Munro führt eine „beulenpestartige Erektion“ spazieren. Der Anblick von Frauen hat auf ihn eine körpermechanische Wirkung. Der reisende Kosmetikvertreter lebt mit einer Dauergeilheit, die ihn durchs Leben hetzt wie ein böser Geist. „Der Tod des Bunny Munro“ heißt der neue Roman des dunklen Rock-Romantikers Nick Cave, einer Ikone der 80er Jahre. Regisseur John Hillcoat soll das Buch verfilmen.
Caves Roman ist der zweite seit seinem Debüt „Und die Eselin sah den Engel“, Ende der 80er Jahre. Kam bei diesem noch die Wucht des Caveschen alttestamentarischen Duktus zum Tragen, ist der neue Roman eine reduziert brutale Erzählung aus der englischen Arbeiterklasse. Auch der gebürtige Australier Nick Cave selbst lebt mittlerweile im englischen Brighton.
Elendes Leben
Bunny Munro wird bei seiner nie endenden Aufrisstour überall fündig. Im Fastfood-Restaurant sowieso, bei seinen Hausbesuchen natürlich auch. Und dann kommt er nach Hause und seine Frau hat sich am Fensterkreuz erhängt. Nicht, dass das Bunny abhalten würde, sich noch in derselben Nacht vor einer TV-Telefonsexsendung in den Schlaf zu onanieren.
So fantasiert sich einer durch sein elendes Leben, und wenn nichts mehr hilft, stellt er sich die Geschlechtsteile von Kylie Minogue und Avril Lavigne vor. In den „Danksagungen“ am Schluss entschuldigt sich Nick Cave explizit bei den Popsängerinnen und versichert ihnen seine Verehrung und seinen Respekt. Mit Minogue hatte er schließlich 1996 sogar ein Duett gesungen, das zum Hit geworden war.
Bei diesem Roman scheint nicht das provokante Rock– Tier Cave durch, sondern erkennbar ist auch sprachlich der Rückzug hinter eine drängende Geschichte, die sich nichts ersparen will. Nach dem Tod seiner Frau wird Bunny mit seinem Sohn die Wohnung verlassen und im Zustand der Selbstbetäubung, notdürftig legitimiert durch seinen Vertreterjob, auf ziellose Fahrt gehen. Und während der Vater angesoffen den Frauen hinterhersteigt, hält sich der Sohn in diesem entgleitenden Leben fest an der Enzyklopädie, die ihm die Mutter geschenkt hat – sichere Fakten als Orientierung in einer Welt, die sich in Trieben auflöst.
Abrechung mit der Mistgabel
Mit dem simplen Trick der Parallelmontage, die die Selbstschutzmechanismen des Sohnes gegen den enthemmt wütenden Vater stellt, kommt Cave dem desolat-liebevollen Verhältnis der beiden auf die Spur. In all dem Schrecken überlebt hier ein gegenseitiges Vertrauen, das durch die Verhältnisse nicht mehr gedeckt sein kann. Eine Lüge ist es trotzdem nicht.
Und – worauf man bei Nick Cave natürlich die ganze Lektüre lang wartet – es kommt der Moment, in dem abgerechnet wird. Ein Mörder mit der Mistgabel. Er arbeitet sich langsam vorwärts, dokumentiert durch die Fernsehnachrichten, die im Hintergrund der siffigen Absteigen flimmern wie die mediale Form der Vorahnung. Das letzte Ende besorgt dann aber natürlich eine höhere Macht mit überirdischem Witz.
Nichts aber vom pathetischen Jüngsten Gericht, nichts vom dumpfen Klopfen des göttlichen Strafhammers, das man bei Cave erwartet. Umwerfend ist der Schluss des Romans, der den White-Trash-Appeal in eine rührend-komische Szenerie fantasiert. Im Moment des Todes, als Bunny Munro das ganze Miese seines Lebens ablegen darf, kommt eine unschuldige Ballsaal-Vision in Bonbonfarben zum Vorschein, die abgrundtief kitschig wäre, wäre sie nicht ehrlich schön.
Christian Jooß
Nick Cave: „Der Tod des Bunny Munro“ (Kiepenheuer & Witsch, 320 Seiten, 19.95 Euro)
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