Weltenbummler Gangerl gesteht: "Hätte ich in dieser Nacht eine Pistole gehabt, hätte ich ..."

Der Film "Ausgting“ begleitet den bayerischen Weltenbummler Wolfgang "Gangerl" Clemens, der seit knapp vier Jahrzehnten durch die Weltmeere segelt.
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Der Rodinger  Weltenbummler Wolfgang "Gangerl" Clemens.
Der Rodinger Weltenbummler Wolfgang "Gangerl" Clemens. © Foto: Wolfgang Clemens
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Beim ersten Besuch ist Wolfgang "Gangerl“ Clemens etwas angeschlagen. Die Glastür zu seinem Stadel in Roding steht offen, ein Klopfen an den geparkten Camper direkt davor reicht für ein müdes "Grias eich“. Gangerl liegt mit einer schweren Erkältung im Bett. Den Vorschlag, das Treffen zu verschieben, nimmt er dankend an. Noch drei Tage zuvor feierte der 83-Jährige die Premiere seines Filmes "Ausgsting.“ in München. Ende August kommt er in die Kinos und zeigt den "Naschen“, wie er sich selbst nennt, in seinem Element.

Denn trotz seines hohen Alters ist Gangerl eigentlich alles andere als zerbrechlich. Im Gegenteil: In Bayern würde man sagen, er ist ein zaacher Hund, der jeder Widrigkeit zu trotzen scheint. Und davon musste er schon einige überwinden. Denn in der Oberpfalz ist er nur selten anzutreffen. Sein Zuhause sind die sieben Weltmeere. 132 Länder hat er bereist, neunmal die Erde umrundet. Ursprünglich war er Kunstschmied.

Die "King of Bavaria“ 1988 in Mitterdorf – zahlreiche Menschen kommen, um die selbst gebaute Segeljacht zu bestaunen.
Die "King of Bavaria“ 1988 in Mitterdorf – zahlreiche Menschen kommen, um die selbst gebaute Segeljacht zu bestaunen. © Archiv Chamer Zeitung

Von seinen Abenteuern erzählt er uns, als wir ihn ein paar Wochen später noch einmal besuchen. Mit schneeweißem Rauschebart und sonnengegerbter Haut sitzt er an seinem Esstisch, umgeben von afrikanischen Masken, Muscheln und Erinnerungen. Das Alter scheint auf ihn keine besondere Wirkung zu haben. Was wie die Abenteuerlust über all die Jahrzehnte geblieben ist, ist sein strahlendes Lächeln. Das nicht etwa an den Mundwinkeln endet, sondern auch die Augen mit den markanten Fältchen rundherum strahlen lässt. Vor allem dann, wenn er wie jetzt von seinen Reisen erzählt. Davon, wie er in Richtung Antarktika einen Zyklon überlebte oder schon des Öfteren im Gefängnis landete. Wie er in Nanumea im Südpazifik meinte, das Domizil für seinen Lebensabend gefunden zu haben, und wie sie am Sepik River in Papua-Neuguinea für ihn ein Bush-Sing-Sing-Fest abhielten.

Von der Gesellschaft enttäuscht geht es auf See

Wären da nicht die unzähligen Souvenirs und Fotos an Wänden, Tischen und Regalen, könnte man meinen, seine Geschichten stammten aus einem Indiana-Jones-Roman. Ein möglicher Titel: "Gangerl und die Häuptlingswürde des Sir Wamp Wan“. Bei der Begegnung mit dem durch die englische Königin geadelten Oberhaupt des Mogen-Clans in Papua-Neuguinea hat ihm dieser seine Häuptlingswürde überreicht – ein Steinamulett mit Wolfsmensch-Gravur. Eine ähnlich spektakuläre Geschichte kann der Weltenbummler zu dem mit gut zwei Dutzend Giftpfeilen und Blasrohren gefüllten Köcher vor seinem Bett erzählen. Oder dem Schneeleopardenfell an der Wand darüber: Es stammt von einer Frau in Nepal, der er einst das Leben rettete.

Gangerl aktuell mit 83 Jahren mit seinen Mitbringseln aus der ganzen Welt.
Gangerl aktuell mit 83 Jahren mit seinen Mitbringseln aus der ganzen Welt. © Anna-Lena Weber

Doch wie kommt einer dazu, mit Anfang dreißig alles hinter sich zu lassen – Familie, florierende Schmiede, ein Leben voller Motorsport, Turniertanz und Fallschirmsprünge? Zwei Antworten hat Gangerl darauf, erstens: "Ich wollte immer schon anders sein als die anderen.“ Und: "Ich habe mit der Zeit festgestellt, dass die Gesellschaft falsch ist. In den Menschen und ihrem Handeln steckt so viel Lüge. Vieles ist einfach nur Show und davon wollte ich mich trennen.“

Seine Flucht plant er bewusst nicht mit dem Auto. Zu viele Grenzen. Zu viele Richtlinien. Zu wenig Freiheit. Seinen Reisen liegt bis heute nur eine grobe Planung zugrunde, die vorgibt, wo er startet und wohin er will. "Dazwischen kann ich zu jeder Zeit meine Vorstellungen und Pläne ändern.“ Das klappt auf dem Seeweg am besten.

Deshalb beginnt er 1975 im Hof seiner Kunstschmiede in Mitterdorf bei Roding (Landkreis Cham) mit dem Bau seiner eigenen Jacht. Vorkenntnisse? Hat er nicht. "Aber man kann alles lernen.“ Zwölf Jahre dauert es, bis ihn seine "King of Bavaria“ das erste Mal vom Regensburger Hafen aus in See stechen lässt. Damals war das Aufsehen groß. Gefühlt ganz Roding versammelte sich 1988 vorher an Gangerls damaligem Haus in Mitterdorf und bestaunte die fertige Segeljacht.

Nur Häuptlinge werden bei diesem Stamm der Danis mumifiziert. Anhand der Zahl der Bänder um den Hals kann man sich das Alter ausrechnen.
Nur Häuptlinge werden bei diesem Stamm der Danis mumifiziert. Anhand der Zahl der Bänder um den Hals kann man sich das Alter ausrechnen. © Wolfgang Clemens

Die ersten zehn Jahre kommt er gar nicht nach Roding zurück. Verbringt weitere sieben Jahre in der Karibik und wohnt längere Zeit in Venezuela, ehe er sein Schiff in die Südsee lenkt. Die Barfußroute, die viele Weltumsegler befahren, meidet er früh. Zu berechenbar, zu gewöhnlich. "Langweilig“, sagt er nach vier Jahren. "Spinner wie mich muss es geben. Sonst würde es noch weiße Flecken auf der Erde geben.“ Er liebt entlegene Orte. Ein unbewohntes Atoll, ein Dorf mit Ureinwohnern – "Da springt mein Herz auf, das kann ich keinem Menschen erklären.“

Doch solche Orte verschwinden. Der Massentourismus, sagt er, "versaut alle Kulturen“. Gangerl sieht sich nicht als Tourist. Viele Inseln lernte er kennen, bevor sie erschlossen wurden. Kommt er Jahre später zurück und sieht mehr Segler als Menschen, fährt er weiter.

Nach 20 Jahren verlässt ihn sein treuester Begleiter

Und doch: Er lebt von Reisevorträgen und Chartergästen. Selbstzweifel, ob er damit nicht selbst Teil des Problems ist? "Kann ich mir nicht leisten. Ich will die Welt nicht retten. Ich will zeigen, wie schön sie ist – und sein könnte, wenn die Menschen vernünftiger wären.“ Dabei müsse jeder selber wissen, wie er reist. Für ihn geschieht das in Einklang mit der Umwelt, sprich mit der Natur und den Menschen, die er auf seinen Reisen kennenlernt. In Afrika findet er auch wieder eine Frau, bekommt mit ihr einen Sohn. "Mein afrikanischer Seppi“, sagt Gangerl stolz und zeigt auf das Foto über dem Schreibtisch, der neben ihm steht. Der 19-Jährige war auch schon auf Reisen mit dabei und demnächst kommt der Seppi ihn besuchen, erzählt Gangerl. Auch wenn er sich darauf freut, als Familienmensch würde er sich trotzdem nicht bezeichnen. Dazu sei er ein zu großer Ego "und zwar ein richtiger“, sagt der 83-Jährige über sich selbst. Und so erzählt er lieber wieder von seinen Abenteuern auf See und von seinem Schiff.

Unzertrennbar: Wolfgang "Gangerl“ Clemens und seine "Bavaria“.
Unzertrennbar: Wolfgang "Gangerl“ Clemens und seine "Bavaria“. © Majestic / Rainier Ramisch

20 Jahre lang ist die "King of Bavaria“ sein treuer Begleiter – bis es 2007 bei Marianne Island auf den Seychellen auf ein Korallenriff läuft. Fünf Stunden kämpfte er damals um sein Schiff – vergebens. Es erleidet irreparable Schäden. In einem Reisebericht, veröffentlicht in der Chamer Zeitung, schreibt er im September 2007 über den Verlust seiner Jacht: "Hätte ich in dieser Nacht eine Pistole gehabt, hätte ich mich wahrscheinlich erschossen.“ Bei unserem Besuch sagt er dazu: "Zwei Wochen hab ich damals durchgesoffen, um schlafen zu können. Ans Aufgeben hab ich aber nie gedacht.“ Vier Tage nach dem Unfall findet er einen neuen fahrbaren Untersatz. Sein Herbergsvater verkauft ihm sein Schiff – "irgendwie geht’s immer weiter“.

Neun Erdumrundungen auf dem Kiel – Szene mit der Bavaria.
Neun Erdumrundungen auf dem Kiel – Szene mit der Bavaria. © Majestic

Doch sein Unglück sollte sich fortsetzen. Es folgen zwei schwere Jahre, geprägt von Krankheit. Erst 2010 ging es mit neuen Abenteuern weiter. Auch 2014 entkommt er nur knapp dem Tod: Nach einem Unfall auf See stauen sich über mehrere Tage verteilt gut fünf Liter Blut in seinem rechten Bein. Aber auch hier denkt er nicht an einen Abbruch seiner Reisen. "Ich verachte Schwäche, die gibt’s bei mir nicht.“ Und so segelt er nach einem kurzen Zwischenstopp im Krankenhaus wieder weiter.

Was ihn immer wieder antreibt, ist sein unendlicher Drang nach Freiheit und Abenteuer. "Wenn ich auf dem Schiff bin, bin ich der glücklichste Mensch der Welt.“ Dass er bei den meisten Reisen alleine unterwegs ist, begrüßt der 83-Jährige. Einsamkeit kennt er nicht. Er meint nur, "mit der Zeit wird man etwas komisch“. Passiert ihm ein Fehler, dann schimpft er laut mit sich, redet mit seiner toten Mama und dem Herrgott. "Auch wenn ich nie ein gläubiger Mensch war. Aber zum Reden ist er gut.“

Produzent Thomas Wittmann (links), Wolfgang "Gangerl“ Clemens, Regie und Grünschnabel Julian Wittmann.
Produzent Thomas Wittmann (links), Wolfgang "Gangerl“ Clemens, Regie und Grünschnabel Julian Wittmann. © Hans-Florian Hopfner/Mahestic

Er schwimmt und taucht viel. Oder geht seiner Lieblingsbeschäftigung, dem Denken, nach: "Ich schau aufs Meer und hänge meinen Gedanken nach. Dann überlege ich, was ich noch machen und bauen möchte, wie ich es bauen würde. Oder gebe Spinnereien nach und frage mich, ob ich zum Mars fliegen würde, würden sie es mir vorschlagen. So kann ich mich tagelang beschäftigen.“

Dreharbeiten für Kinofilm werden zur Geduldsprobe

Eine umso größere Umstellung war es für Gangerl, als ihn im vergangenen Jahr ein Filmteam auf seinem Schiff begleitete. Der Filmemacher Julian Wittmann wollte herausfinden, was wahre Freiheit ist, und segelte dazu drei Monate lang bei Gangerl mit. Für den selbst ernannten "Seezigeuner“ Gangerl kein leichtes Unterfangen. "Ich mag es nicht, wenn man mir reinredet oder ich mich nach jemandem richten muss. Und da waren es ja gleich vier Leute, die meinten, sie wüssten, wo es langgeht.“ Und trotz der Zweifel, ob es gerade eine Dokumentation über ihn geben müsste, zeigt er sich am Ende mit dem Ergebnis zufrieden: "Doch, das bin ich, das haben sie gut gemacht.“

Der Film "Ausgting.“, der bei dem Trip in Indonesien entstanden ist, kommt am 28. August in die Kinos. Und zeigt den Aussteiger unter anderem beim Volk der Bajau in Süd-Sulawesi, bei Polizeikontrollen auf seinem Boot und in einem Sturm – für Gangerl gewohnte Abläufe, für seine Gäste an Bord jedoch oft sehr nervenaufreibend.

Bald geht es wieder raus ins Paradies

Während Gangerls Manager noch mit den Planungen zur Kinotour beschäftigt ist, träumt sich der 83-Jährige schon längst wieder auf sein Schiff, das aktuell vor West-Papua ankert. Er sagt: "Das Schiff hat sich in den Tropen totgestanden. Feuchte Luft, Sonne – da muss ich erst mal ein halbes Jahr reparieren.“ Und dann? "Erst wenn wieder alles läuft, kann ich raus ins Paradies. Das muss man sich verdienen.“

Vielleicht geht es dann nach Alaska. Vielleicht aber auch nach Japan. Denn dort war er in all den Jahren noch nicht und will unbedingt noch hin. Sicher ist: Er reist wieder allein. "Ich will niemanden auf meinem Schiff haben.“

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