Weiß und Preußischblau
Mag er auch noch so rätselhaft, unnahbar und verhaltensgestört gewesen sein, mag er auch finanziell weit über seine Verhältnisse gelebt und seine Residenzstadt München gehasst haben, für das unüberschaubare Heer seiner Fans ist Bayernkönig Ludwig II. auch 125 Jahre nach seinem Tod eine Lichtgestalt, eine Traumbesetzung für die Rolle eines Monarchen, eine weißblaue Ikone, der Paradebayer schlechthin. Ludwig ist Bayern und Bayern ist Ludwig.
Fast schamhaft wird dabei verdrängt, dass der populärste aller Wittelsbacher ein halber Preuße war. Nein, darüber spricht man nicht. Aber es bedarf keines Gentests um das zu beweisen. Ludwigs Mutter Marie stammte aus dem Hause Hohenzollern, war eine preußische Prinzessin und hatte einen Teil ihres Lebens in Berlin und Schlesien verbracht.
Bayern und Preußen, wie passt das zusammen? Ist das nicht wie Feuer und Wasser? Die zwei Volksstämme sind mental so radikal gegensätzlich, dass zwischen ihnen nichts, aber auch schon überhaupt nichts gehen kann, behauptet das Vorurteil. Abendfüllende Kabarettprogramme, satirische Zeitschriften wie der legendäre „Simplicissimus” und hunderttausende von Stammtischen haben in München davon gelebt, den Preußenhass anzuheizen und ihn dann genüsslich zu pflegen.
Bismarck spannte den Rettungsschirm auf
Aber wie vergiftet waren die Beziehungen zwischen München und Berlin wirklich? Bei genauerem Hinsehen stellt sich heraus, dass sich die angeblichen Erzfeinde in Wahrheit immer ganz gut verstanden haben. Das beste Beispiel für die konfliktfreien Beziehungen zwischen München und Berlin steuerte Ludwig II. selbst bei. Als er wegen seiner Bauwut in erhebliche finanzielle Turbulenzen geraten war, zögerte er keine Sekunde, als sich aus Berlin Hilfe in der Not abzeichnete. Kein geringerer als Erzpreuße Otto von Bismarck, der spätere Eiserne Kanzler, spannte über Ludwig einen Rettungsschirm auf. Durch einen Griff in den so genannten Welfenfonds, einer schwarzen Kasse Bismarcks, wurden umgerechnet rund fünf Millionen Euro locker gemacht, um dem klammen Bayern-König unter die Arme zu greifen. Ganz klar, dass die großzügige Hilfsaktion äußerst diskret durchgeführt wurde. Schon damals erwiesen sich Schweizer Banken bei geheimen Geldtransfers als nützlich, sie wickelten das Geschäft ab und zahlten in einzelnen Raten nach München. Diese landeten direkt in der Privatschatulle Ludwigs und nicht in der Staatskasse. Dem Ministerrat sollte der Deal verborgen bleiben.
Natürlich erwartete sich Bismarck als Dank für die großzügige Geste eine Gegenleistung. Auf Ludwigs Schreibtisch lag der „Kaiserbrief”, ein brisantes Dokument. Es wartete auf die Unterschrift des bayerischen Monarchen. Mit ihr sollte Ludwig sein Einverständnis dafür geben, dass der preußische König zum deutschen Kaiser ernannt wird. Der Kini unterschrieb und opferte damit die Eigenständigkeit Bayerns. Kaiser Wilhelm I. regierte über alle deutsche Lande. Eine Entscheidung, die vermutlich angesichts der Machtverhältnisse gar nicht zu vermeiden war, aber dennoch bei eingefleischten Preußenhassern einen Sturm der Entrüstung auslöste.
Trachtelnde Preußen in der Bergwelt
Wie eng die bayerische Geschichte auch in früheren Zeiten mit Preußen verknüpft war, belegt ein Blick ins 18. Jahrhundert. Ausgerechnet Friedrich der Große, der Preuße aller Preußen, rettete das Land der Wittelsbacher vor dem Zugriff des österreichischen Kaisers Josephs II. Der alte Fritz stoppte den Expansionsdrang des Wiener Monarchen und rettete damit Bayerns Eigenständigkeit. Natürlich geschah das nicht aus reiner Nächstenliebe. Friedrich wollte Österreich nicht zu mächtig werden lassen und wurde dafür im Land der Bajuwaren fast wie ein Heiliger verehrt.
Wie respektvoll bayerische Monarchen mit Preußen umzugehen pflegten, bewies König Maximilian II. im 19. Jahrhundert. Er holte die so genannten „Nordlichter” nach München, eine Gruppe von Wissenschaftlern und Literaten, die intellektuellen Glanz in seine Residenzstadt bringen sollten. Der bekannteste von ihnen war der Poet Paul Heyse, ein Berliner, der einige Jahre in Bayern lebte und 1910 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde.
Mit dem Beginn des Tourismus im späten 19. Jahrhundert entdeckten viele Preußen die Alpen. Sie warfen sich in Trachtengewänder und feierten die Bergwelt zwischen Watzmann und Zugspitze als neu gewonnenes Paradies. Eine erste Welle des Bayernrummels begann über den weißblauen Südstaat zu rollen. Berlin fiel in eine Art Alpentaumel. Kein Wunder, dass der bayerische Volksschriftsteller Ludwig Ganghofer mit seinen schwülstigen Romanen, die fast alle im Gebirge spielen, vor allem an der Spree wahre Triumphe feierte. Er wurde zum Lieblingsschriftsteller Kaiser Wilhelms II.
Wo entstand wohl der bekannteste aller bayerischen Bierzeltsongs? Die Melodie zum Sauflied „In München steht ein Hofbräuhaus” fiel dem preußischen Komponisten Wilhelm Gabriel 1939 in einem Café am Berliner Kurfürstendamm ein. Den Text steuerte sein Allgäuer Freund Siegfried Richter bei.
Lässt sich bei so vielen Erfolgen der Zusammenarbeit die Theorie vom unausrottbaren Preußen-Hass der Bayern noch halten? Wohl kaum.
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