Weinen mit Michelle ist immer noch schön

Berlinale: „Chéri“ von Stephen Frears und „London River“ von Rachid Bouchareb
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Berlinale: „Chéri“ von Stephen Frears und „London River“ von Rachid Bouchareb

Als sie, die zarte, tugendhafte Schönheit in Stephen Frears’ „Gefährliche Liebschaften“ (1988) dem Intrigenspiel des Vicomte und seiner Freundin zum Opfer fiel, weinten Millionen weibliche Kinofans. Nun ist Michelle Pfeiffer selbst die Verführerin – als Edelkurtisane Léa im mondänen Paris Anfang des 20. Jahrhunderts, wo sie einen 20 Jahre jüngeren Mann in die Kunst der Liebe einführen soll – und sich verliebt. Der Brite Frears hat den Roman „Chéri“ von Colette (wieder nach dem Script von Christopher Hampton) verfilmt und stellte ihn im Berlinale-Wettbewerb vor.

Die noch zartere, aber wenig tugendhafte Schönheit Léa pflegt nach Affären mit den Oberhäuptern Europas weitgehend der Ruhe. Die Bitte der Ex-„Kollegin“ Madame Peloux (Kathy Bates als komische Wuchtbrumme), ihrem 19-jährigen Sohn (Rupert Friend) etwas Format zu vermitteln, erfüllt Léa gerne. Aus den Nachhilfe-Wochen werden sechs Jahre – und eine tiefe Liebe. Als Madame Peloux für ihren Sohn eine Ehe mit einer reichen jungen Frau arrangiert, ist Léa Zielscheibe von Spott und Heuchelei. Aber die reife Frau kämpft mit allen Waffen.

Schwelgerei

Frears lässt das Publikum schwelgen in edelsten Interieurs, Landschaften, Details, verwöhnt mit geschliffenen Dialogen, bissigem Witz und brausender Emotion. Und, wer’s mag: Weinen mit Michelle ist immer noch schön.

Kontrastprogramm aus dem global angstbesetzten Lebensgefühl von heute: Rachid Bouchareb, algerisch-französischer Autorenfilmer („Little Senegal“), erzählt in „London River“ vor dem Hintergrund der Terroranschläge vom 7. Juli 2005 in London mit 56 Toten und über 700 Verletzten von zwei Menschen aus verschiedenen Welten, die ihre Sorge und Trauer zusammenführt. Witwe Elisabeth (Brenda Blethyn) bewirtschaftet einen kleinen Hof auf der Kanalinsel Guernsey, von ihrer Tochter Jane, die in London studiert, hört sie nicht oft. Und auch nach der Bombenexplosion ruft Jane nicht an. So macht sich Elisabeth auf nach London. Der Taxifahrer setzt die Landfrau in einem Multi-Kulti-Viertel ab, der algerische Fleischhauer gibt ihr die Schlüssel zu Janes Wohnung.

Anrührend und wahrhaftig

Aus Frankreich, wo er seit 15 Jahren als Gärtner arbeitet, ist der Afrikaner Ousmane (Sotigui Kouyate) angereist. Er hat die Familie verlassen, als sein Sohn sechs Jahre alt war und seiner Frau versprochen, Ali zurück nach Afrika zu bringen. Die Glaubensbrüder in der Moschee nahe Janes Wohnung geben Ousmane, einem hageren Mann mit traurigen Augen, Behördenadressen.

Wie sich die Wege der Suchenden kreuzen und sie nach Missverständnissen und Vorurteilen lernen, dass Jane und Ali offenbar ein Liebespaar waren und sie einander nun beistehen müssen, schildert Bouchareb so anrührend und wahrhaftig, dass man diesem Film eine Bären-Trophäe wünscht.

Angie Dullinger

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