Wege durch das Labyrinth der Partitur

Bei „Oper für alle“ dirigiert Kent Nagano die Urfassung von Anton Bruckners Achter am 28. Juni auf dem Marstallplatz. Danach geht er mit den Musikern für eine Plattenaufnahme ins Studio.
von  Abendzeitung

Bei „Oper für alle“ dirigiert Kent Nagano die Urfassung von Anton Bruckners Achter am 28. Juni auf dem Marstallplatz. Danach geht er mit den Musikern für eine Plattenaufnahme ins Studio.

Was sein Vorgänger Hermann Levi vor über hundert Jahren noch unverständlich fand, versöhnt der heutige Generalmusikdirektor mit der Populärkultur: Beim Festspielkonzert von „Oper für alle“ dirigiert Kent Nagano auf dem Marstallplatz die Urfassung von Anton Bruckners Achter Symphonie.

Die Jahre, in denen dieses monumentale Werk entstand, brachten dem lange verkannten österreichischen Komponisten den Weltruhm. Als Durchbruch gilt die triumphale Wiedergabe der Siebten im März 1885 durch das Hoforchester, dem Vorläufer des heutigen Bayerischen Staatsorchesters im Odeon. Bruckner war bei dieser Aufführung anwesend und wurde frenetisch gefeiert. Danach bezeichnete er etwas voreilig München als seine eigentliche künstlerische Heimat.

Abgelehnt und umgearbeitet

Der Erfolg war der Ansporn für ein neues Werk: Dreieinhalb Jahre arbeitete der stets von Selbstzweifeln geplagte Komponist an einer neuen Symphonie. Mit den Worten „Möge sie Gnade finden“ sandte er die Noten seiner Achten im September 1887 an Hermann Levi. Allerdings vergeblich: Der Dirigent fand sich in der Riesenpartitur nicht zurecht und lehnte eine Aufführung ab.

Erst in der zweiten Fassung, erstmals gespielt 1892 von den Wiener Philharmonikern unter Hans Richter, setzte sich das Werk durch. „Ich kann schon verstehen, dass Levi die erste Fassung ablehnte“, sagt Nagano. „Auch heute ist es nicht einfach, diese Musik überzeugend zu gestalten. Ich bemühe mich, mit dem Orchester die Musik frei atmen zu lassen und nicht in einem zu strengen Tempo zu spielen.“

Ab ist Studio!

Die Unterschiede zur geläufigen Version sind weniger auffällig als bei der Vierten, die Nagano im Sommer 2007 unter freiem Himmel dirigierte. „Am Beginn fehlt die Klarinetten-Quinte, und der erste Satz schließt mit einer mächtigen, später gestrichenen Steigerung“, erläutert der Generalmusikdirektor aus Kalifornien. „Im Scherzo gibt es keine Harfen. Es ist in der ursprünglichen Instrumentierung schwerer, die Musik leicht und fröhlich klingen zu lassen.“ Auf dem Höhepunkt des langsamen Satzes gibt es drei Beckenschläge statt einem. „Im Finale sind die Echos von Wagners ,Götterdämmerung’ noch gewaltiger als später. Der Dirigent hat mehr Zeit, die großen Steigerungen überzeugend aufzubauen.“

Kurz nach der Aufführung am Marstallplatz geht der Dirigent mit seinen Musikern ins Studio, um die Urfassung der Achten für eine CD aufzunehmen. Für Bruckner bei „Oper für alle“ entschied sich Nagano auch wegen eines Generationenwechsels im Bayerischen Staatsorchester: „Als ich kam, hat die Mehrzahl der Musiker noch mit Wolfgang Sawallisch gearbeitet. Jetzt ist das umgekehrt. Deshalb möchte ich das Grundrepertoire der Symphonik von Beethoven, Schubert, Brahms und Bruckner mit den neuen Musikern neu erarbeiten.“

Robert Braunmüller

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