Was ist Schuld, was war Rache?

Der Regisseur Juraj Herz und Produzent Karel Dirka drehten den Film „Habermann“ über die sudetendeutsche Kriegs-Geschichte
Abendzeitung |
X
Sie haben den Artikel der Merkliste hinzugefügt.
zur Merkliste
Merken
0  Kommentare
lädt ... nicht eingeloggt
Teilen  AZ bei Google News

Der Regisseur Juraj Herz und Produzent Karel Dirka drehten den Film „Habermann“ über die sudetendeutsche Kriegs-Geschichte

Mauerkircherstraße 3, Bogenhausen: Ein Zebra, ein Affe, eine Antilope glotzen einen erledigt als Trophäen von den vollgehängten Wänden an. Art-Déco-Schaufensterpuppen räkeln sich grazil auf dem Parkett, das überall vollgestellt ist mit Edel-Nippes und Memorabilien. Ein Pop-Art-Flipper und ein alter Zahnarztstuhl umstehen einen überladenen Mahagoni-Schreibtisch. Es wirkt, als hätten Hemingway und Karl May ihren Hausstand zusammengeworfen. Hier wohnt aber ein anderer Abenteurer: Karel Dirka, der in diesem Wunderland seine OKO-Filmproduktion organisiert.

„Marlene“, Maximilian Schells Filmporträt über die Dietrich, hat er produziert. Auf der Visitenkarte steht als zweite Adresse eine in Beverly Hills. „Die meisten Genres machen die Amis besser: Science Fiction, Thriller, Action, Melo-dramen, selbst Komödien. Die Ausnahme: intelligente Geschichtsfilme“, sagt Dirka mit sanftem tschechischen Akzent, sitzt im offenen Hemd und mit zurückgegeltem Haar im schweren Scheibtischsessel und nimmt einen tiefen Zigarettenzug, so dass die futuristische Uhr unter dem Hemd am Handgelenk aufblitzt.

Verminte Geschichte

Mit seinem neuen Projekt hat er sich auf vermintes Terrain begeben: die sudetendeutschen Gebiete in ihren heikelsten und brutalsten Jahren von 1938 bis 1945, der Zeit kurz vor der Annektion bis zur Vertreibung 1945 (siehe Kasten). Es ist die Geschichte eines reichen deutschen Müllers (Mark Waschke), der eine jüdisch-tschechische Frau (Hannah Herzsprung) heiratet, als mit dem deutschen Einmarsch die Wehrmacht die Regierungsgewalt an sich reißt, in Gestalt Ben Beckers. Damit verkörpert Becker als harter Nationalsozialist die Vernichtung der Möglichkeit, friedlich zusammenzuleben.

Wilson-Gonzales Ochsenknecht spielt einen jungen, fanatisch-glühenden SS-Mann, der später gebrochen von der Ostfront zurückkehren wird. Als Partisanen zwei deutsche Offiziere töten und in einer Racheaktion 20 Dorfbewohner erschossen werden sollen, eskaliert die Anspannung zwischen deutscher und tschechischer Bevölkerung, deren aufgestauter Hass sich bei der Niederlage der Deutschen blutig entlädt.

Der richtige Mann?

Es klingelt, Juraj Herz, der Regisseur, kommt vom Schneidetag in Unterföhrung vorbei: „Als tschechoslowakischer Jude, der in Tutzing lebt und als Kind von Deutschen versteckt wurde, ehe ich von Slowaken für Kopfgeld verkauft wurde und ins KZ kam, bin ich wahrscheinlich der richtige Mann für so ein heikles Thema“, sagt Herz.

Dirka zieht seine Schreibtischschublade auf und einen Brief an ihn hervor. Er ist von Václav Havel: „Noch bevor ich zum Präsidenten gewählt wurde, in der Zeit, als ich noch Dissident war, habe ich einen Brief an Richard von Weizsäcker geschrieben, dass ich davon überzeugt bin, dass die tschechische Regierung sich für die Exzesse an der deutschen Bevölkerung entschuldigen sollte und für die wahnsinnige Idee, Völker zu verteiben...“, liest Dirka vor.

Reinigende Hygiene

„Die Dinge sollten beim Namen genannt werden. Das ist im gemeinsamen Interesse einer gewissen Hygiene der Völkergemeinschaft.“ „Zukunftsweisend“, findet Dirka diese Zeilen. Aber „Habermann“ soll natürlich auch zeigen, was von deutscher Seite der Vertreibung an Gewalt vorausgegangen ist.

„Im Krieg stirbt als erstes die Unschuld“, ist der Leitsatz des Films. „Das gilt für jede Seite“, sagt Dirka. Der FFF, die bayerische Filmförderung, hat 600000 Euro in „Habermann“ gesteckt. Nächstes Frühjahr soll er in die Kinos kommen. Ein Film im geschichtlich verminten Feld.

Adrian Prechtel

  • Themen:
Lädt
Anmelden oder registrieren

Zum Login
Zu meinen Themen hinzufügen

Hinzufügen
Sie haben bereits von 15 Themen gewählt

Bearbeiten
Sie verfolgen dieses Thema bereits

Entfernen
Um "Meine AZ" nutzen zu können, müssen Sie der Datenspeicherung zustimmen.

Zustimmen
 
0 Kommentare
Bitte beachten Sie, dass die Kommentarfunktion unserer Artikel nur 72 Stunden nach Veröffentlichung zur Verfügung steht.
Noch keine Kommentare vorhanden.
merken
Nicht mehr merken
X

Sie haben den Inhalt der Merkliste hinzugefügt.