Was in der Luft liegt

Heute beginnt das Radikal jung-Festival im Volkstheater mit „Rocco und seine Brüder” – und es wird sehr politisch werden
Michael Stadler |
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Man muss sich immer durchboxen, im Ring, in der Familie, im Theater, im Leben. Mit „Rocco und seine Brüder”, Antú Romero Nunes’ Bühnenadaption von Luchino Viscontis Film, beginnt heute das Radikal jung-Festival im Volkstheater mit einer blitzschnellen Linken. Das Festival junger Regisseure geht in die achte Runde, noch mit seinem fördernden Sparrings-Partner E.On. Für 2013 müssen schon neue Sponsoren gefunden werden, für ein Festival, das längst ein Champion im deutschen Festivalbetrieb ist. Die Jury, bestehend aus Festival-Leiter und Volkstheater-Chefdramaturg Kilian Engels, dem Publizisten C. Bernd Sucher und Schauspielerin Annette Paulmann, hat sieben Inszenierungen eingeladen, gezeigt wird zudem die Eigenproduktion „Felix Krull”.

AZ: Herr Engels, die heuer eingeladenen Inszenierungen scheinen oft sehr politisch zu sein. Gab es eine programmatische Ansage, bevor die Jury auf Reisen ging?

KILIAN ENGELS: Nein, das machen wir nie. Aber wir spiegeln natürlich eine Spielzeit. Meine größte Sorge war, dass man uns wegen unserer europäischen Ausweitung vorwerfen könnte, dass wir eh nicht alles sehen können. Aber die beiden europäischen Produktionen, die wir jetzt eingeladen haben, sind eine Bereicherung. Uns geht es um eine größtmögliche Bandbreite.

Dass die ungarische Produktion „Korijolánusz” eingeladen wurde – hat das damit zu tun, dass in Budapest Rechtspopulisten die Leitung eines Theaters übernommen haben?

Natürlich. „Korijolánusz” ist der Versuch, politisches Theater in Ungarn zu machen. Dort wird ja gerade alles massiv gleichgeschaltet, die ganzen staatlich oder städtisch finanzierten Kulturinstitutionen werden auf Linie gebracht, also nachbesetzt mit Parteibuch. „Korijolánusz” wird von einer freien Gruppe gezeigt, die machen mit ganz wenig Geld unabhängiges Theater.

Inwiefern spiegelt der Abend die Situation in Ungarn?

Das ist ja eine späte Römer-Tragödie von William Shakespeare. Im Stück fällt dann so ein Satz wie: „Die Verfassung verbietet das!” Dann antwortet jemand: „Ja, dann ändern wir halt die Verfassung.” Vier Monate später wurde tatsächlich die Verfassung in Ungarn geändert. Das ist schon beeindruckend, dass die Kunst etwas aufgreift, was in der Luft liegt.

„Hate Radio” wurde auch zum Berliner Theatertreffen eingeladen – worum geht’s?

Regisseur Milo Rau hat in Ruanda lange Interviews geführt mit Überlebenden und Tätern, hat recherchiert zu dem Radiosender RTLM und anderen Medien und daraus eine Sendestunde destilliert. Es wird gezeigt, wie dieses Radio massiv zum Massenmord in Ruanda beigetraten hat. Die haben die beste Musik gespielt. Und zwischendurch wurde locker-flockig zum Mord aufgerufen. Da meldeten sich Anrufer, wo sich noch Leute verstecken, die man noch töten könnte.

Es gibt noch andere Inszenierungen, „Tschick” zum Beispiel, nach dem Erfolgsroman von Wolfgang Herrndorf. Ist das reines Entertainment?

Reines Entertainment ist das doch nie. „Tschick” ist einfach eine wunderbare Coming-Of-Age-Geschichte, die bei einem 15-Jährigen, aber auch einem 45-Jährigen funktioniert.

Hat die Jury sich bei der Auswahl denn arg gestritten?

Wir streiten uns nie arg. Wir diskutieren. Wir sind drei völlig verschiedene Menschen, aber wir sind uns doch einig, wenn wir eine Aufführung gesehen haben: das ist gut. Und das zeigen wir dann auch beim Festival.

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