Wagner, schwarzhumorig
In seinem Bühnenspiel „Mea culpa“ versammelt Regisseur Christoph Schlingensief an der Staatsoper alle seine Hausgötter, thematisiert seine Krankheit und ironisiert das Leiden
Es war ein wenig wie am Grünen Hügel und doch ganz anders. Den Orchestergraben des Nationaltheaters überwölbte eine dem Festspielhaus ähnliche Klangmuschel. Unter Fortlassung des Vorspiels begann mit einem farbigen Gurnemanz der erste Akt von Wagners „Parsifal“ bis zum Auftritt des siechen Amfortas.
Der Gralskönig wurde von Mozart penetriert und vorzeitig als geheilt entlassen. Dieses, die versagende Gesangstechnik der Gralsritter und allerlei seltsame Gestalten auf drehbarer Bühne gemahnten an Christoph Schlingensiefs Inszenierung des Bühnenweihfestspiels vom Sommer 2004. Weil damals wohl sein Lungenkrebs ausbrach, dieses Musikdrama auch von Leiden und Erlösung handelt, klammert es die Assoziations-Metastasen von „Mea culpa“ optimal zusammen.
Der Unterschied zwischen Freaks und Burgschauspielern verschwindet
Der Abend trägt, in Anlehnung an in die Sphäre der Kunst gehobenen Alltagsfundsachen wie Marcel Duchamps Flaschentrockner die Gattungsbezeichnung „ReadyMadeOpera“. Das trifft: Zitate von Jelinek oder Johann Wolfgang von Goethe krachen zu Bach und Schumann gegeneinander. Ehe eine These zu Ende gedacht ist, folgt schon ihr Gegenteil samt Veralberung. Ähnlich verschwimmt der Unterschied zwischen Freaks und Burgschauspielern. Wenn das Orchester schweigt, dröhnt Filmmusik, und über allem schwebt des Meisters zerstörte Lunge.
„Mea culpa“ stellt Wagners „Parsifal“ auf die Füße. Der Künstler zeigt seine Wunde, aber er überhöht sie nicht mit dem falschen Glanz aus Religion und Metaphysik, der das Thema Krankheit in der Kunst sonst unerträglich macht. Schlingensief zieht das Geschwätz esoterischer Therapeuten durch den Kakao und glaubt selbst an das Wunder, dass Linderung möglich sei, wenn sich der Kranke in des Krebses Krebs verwandelt.
Der Abend ist grenzenlos banal, grenzenlos genial, grenzenlos naiv und auf eine schwarzhumorige Weise komisch. Wenn Leichen in Säcken beerdigt werden, informiert eine Laufschrift über die Alltäglichkeit des Todes. Der Einzelne ist zugleich ein Staubkorn im Universum und als Künstler Schöpfergott zugleich. „Mea culpa“ plädiert für den einzig sinnvollen Weg: Das Leben ist voller Widersprüche. Sie nicht zuzulassen, wäre eine Lüge wie das Verschweigen von Krankheit und Tod, die unser aller Ende sind.
Gegen die Ausgrenzung von Krankheit
Fritzi Haberland gibt Schlingensiefs Verlobte, aber auch Jörg Immendorffs junge Witwe. Der Regisseur selbst lässt sich durch Joachim Meyerhoff vertreten, hat aber gegen Ende einen wild trotzigen Auftritt, in dem er gegen die Ausgrenzung der Krankheit protestiert und alle Krebskranken zum Schreiben von Büchern auffordert.
Im dritten Akt schaut er dann noch wie der Brandner Kaspar ins Jenseits. Aber seine Begeisterung hält sich in Grenzen. Eine greise Sopranistin kämpft bewegend mit Isoldens Liebestod. Da beschließt Schlingensief, noch nicht im Nirwana aufzugehen. Entlassen wird der Zuschauer im Geist Nietzsches und zugleich erzkatholisch mit dem Appell: Lebe den Augenblick verantwortlich, er könnte dein letzter sein!
Robert Braunmüller
„Mea culpa“ erscheint bald als DVD bei www.hoanzl.at