Von Dakota nach Odessa
Beim Theaterfestival SpielArt können auch Passanten, Albträume oder die Technologie Hauptdarsteller sein
Bei SpielArt wird auch der öffentliche Raum zur Bühne. Mal schwärmen Menschen, die von den Urbanauten ferngesteuert werden, als Flashmob durch die Innenstadt. Mal bilden sich auf dem Hauptbahnhof Schlangen von Leuten, um gesellschaftliche Anklagen zu verlesen. Dahinter steckte die Gruppe God’s Entertainment aus Wien. Sie warb für 5 Euro Lohn im Hauptbahnhof Passanten an, eine Seite aus Peter Handkes „Publikumsbeschimpfung“ laut vorzulesen. So wurde daraus eine „Passantenbeschimpfung“, die Akteure tauchten an verschiedensten Stellen auf, zwei Monitore übertrugen ihre Texte, die die vom Theater vorgespielte Realität in Frage stellen. Das Zufallspublikum wirkte allerdings nicht göttlich unterhalten.
Ziemlich ratlos blieben die meisten Zuschauer auch nach Colin Gees Roadmovie-Performance „Dakota“ in der Black Box. Der Amerikaner war vier Jahre lang Clown beim Cirque du Soleil, jetzt experimentiert er mit Film. „Dakota“ erzählt auf der Leinwand von dem Trucker Doug, der nach einem Ehekrach mit einer Panne liegenbleibt und zu Fuß durch die Wüste bis zu einer Mine irrt, verfolgt von der Idee, seine Tochter sei entführt worden. Seine Ängste und Albträume spielt Colin Gee live auf der Bühne – geschminkt wie ein Tod, mit sparsamen, streng abstrahierten tänzerischen Bewegungen, untermalt von der atmosphärischen Musik von Erin Gee. Die Rätselstory verlief sich jedoch genauso im Wüstensand wie der Trucker.
Gabriella Lorenz
Theater für Technik-Freaks: Der Bildschirm verlangt eine Portalgröße von mindestens neun auf sechs Meter und bis zu 250 Zuschauer werden über Kopfhörer mit Klang in einer 3-D-Qualität versorgt, die von der akustischen Raumaufteilung her raffinierter ist, als es das unbeschirmte Ohr leisten könnte. Von nebenan wird aus einem Fernsehstudio der Auftritt des einzigen lebendigen Schauspielers live in die Muffathalle übertragen: Johannes Lilleøre spricht mit einer Kunstkopfpuppe und spielt, „vielleicht“, den Schmetterlingskundler und Schriftsteller Vladimir Nabokov, den „Lolita“-Schöpfer, in seiner Heimatstadt Odessa auf der Suche nach der Wirklichkeit.
Eine „Herausforderung für die Sinne“ verspricht das Hotel Pro Forma aus Kopenhagen mit „Relief“, doch der Rausch des technologisch Machbaren lässt den Besucher eher kalt. Ein Relief bezeichnet ein Bild im Übergang zur Plastik, und auch das von Kirsten Dehlholm konzipierte und Ralf Richardt Strøbach inszenierte „Motion Picture“ spielt mit den Möglichkeiten des Bildes, Fläche zu sein und doch die Illusion von Räumlichkeit zu erzeugen, bis der Schauspieler leibhaftig auf die Bühne tritt. Aber die Sinnlichkeit bleibt Idee und beschränkt sich auf ausgesucht schöne Farben und einen chillenden Soundtrack.
Mathias Hejny
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