Vom Sinn des Wutanfalls
Das doppelt Erfreuliche am Wahlausgang in den USA ist, dass man jetzt an Amerika und seinem Präsidenten nicht mehr hinter vorgehaltener Hand herummeckern muss, aus lauter Sorge, dem uns lieberen amtierenden Optimisten Obama damit zu schaden und gar den Mormonenmillionär zu unterstützen, dessen Optimismus uns um einiges unheimlicher war.
Der amerikanische Optimismus! Er wird von europäischen Amerikafans immer so frischfröhlich als leuchtendes Vorbild hingestellt, dass man sich auf unserem alten Kontinent als Skeptiker schon ganz komisch vorkommt. Eine Spielart des europäischen Skeptikers ist der bayerische Grantler, dem nichts und niemand weder auf der Welt noch daheim es recht machen kann, schon gar keine Partei und kein Präsident. Die vielen Jahre der absoluten Herrschaft der CSU in Bayern zeigen, dass in dieser Zeit die ehrwürdige Kultur des Grantelns darniederlag. Der wahre Grantler lässt selbstverständlich auch an einem CSU-Politiker kein gutes Haar.
Der vielleicht wahlentscheidende Hurrikan Sandy hat uns wieder einmal den Optimismus der Amerikaner vor Augen geführt. Sie standen vor den Trümmern ihrer Häuser und sagten, dass sie das alles nicht umhaut. Ihre unfassbare Gelassenheit hätte fast etwas Fernöstliches, geradezu Buddhistisches, wenn nicht immer ein naiver Wildwest-Patriotismus durchscheinen würde, ohne den die Zuversicht offenbar nicht zu haben ist.
Sonst geraten die in ihre Vereinigten Staaten verliebten Amis doch so oft außer sich, fuchteln und ballern schnell mit Revolvern herum. Ihr Waffengesetzgeber beruft sich dabei auf die Cowboy- und Siedler-Tradition, was ungefähr so absurd ist, als würde man hier bedauernd an die Hexenverbrennungen des Mittelalters erinnern, wenn Rechtsradikale Asylbewerberunterkünfte angezündet haben.
Wieso bewahren die Amis nach Naturkatastrophen die Ruhe, angesichts eines Unheils, das einen doch wahrlich rasend machen könnte? Ist das Weisheit? Ist das die reine Vernunft? Oder klassische Gottergebenheit? No use crying over spilt milk, sagt das geläufige angloamerikanische Sprichwort. Wobei schon zu fragen wäre, ob es denn wirklich sinn- und zwecklos ist, über verschüttete Milch zu klagen.
Wir nervösen Europäer werden schon tobsüchtig, wenn der Fernseher oder der Router der W-LAN- Verbindung eine Stunde nicht funktioniert. Schließlich ist unsere Informationsfreiheit eingeschränkt. Bei Stromausfall drehen wir komplett durch und überlegen uns, ob die im Tiefkühlfach lagernden argentinischen Rindersteaks jetzt noch genießbar sind und ob wir den Fall der Versicherung melden können.
Noch schlimmer nur, wenn sich Milch oder Milchkaffee über die Tastatur des Laptops ergießt. Eben weil wir zu unrelaxten Ausbrüchen neigen, bewundern wir alle, die bei hundert Mal größeren Missgeschicken Haltung bewahren. Vielleicht aber ist dieses Nichtschreien über das geschehene Unglück nur scheinbar weise. Vielleicht ist ein Wutanfall klüger, sinnvoller und vorbeugender. Vielleicht führt ein hysterisches Lamento mitsamt einem Sichausraufen der Haare zu heilsamen Überlegungen, wie man in Zukunft solches Unglück vermeiden oder vermindern könnte.
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