Volksmusik macht den Jazz wieder sexy
Siggi Loch war der Star-Macher der großen Deutschen Plattenfirmen und brachte es bis zum Europa-Chef von WEA. Nach dreißig Jahren hörte er 1992 auf und gründete das Jazz-Label ACT
Katja Ebstein und Jürgen Drews verdanken ihm genauso viel wie Marius Müller-Westernhagen, Heinz Rudolf Kunze oder Klaus Doldinger. Aber nach 30 Jahren Musikgeschäft stieg Siegfried Loch 1992 aus und kehrte zu seiner Leidenschaft zurück: dem Jazz. In der Unterfahrt sind gerade Künstler seines Münchner ACT-Labels zu hören, seine Autobiografie ist erschienen und gerade hat er seinen 70. Geburtstag gefeiert.
AZ: Herr Loch, Sie leiden darunter, dass Sie im Musikgeschäft als „Harter Hund“ bezeichnet werden?
SIGGI LOCH: Ich habe von Mitarbeitern immer extremen Einsatz verlangt, so wie ich ihn gebracht habe. Einfach auch, weil ich finde, dass es ein Privileg ist, mit Musik und Kunst sein Geld zu verdienen. Und ich bin dankbar, dass ich als Flüchtlingskind mit gerade mal Volksschulabschluss soweit gekommen bin. Heute würde ich vielleicht nicht mal mehr eine Lehrstelle bekommen. Ich habe immer Begeisterung und Demut empfunden.
Demut, bei Ihren Erfolgen?
Ja, weil man sich nicht überschätzen darf: Letztlich sind es die Künstler, die das Geld für einen machen. Man kann nur das Marketingumfeld bereiten, aber einen Künstler nicht völlig umformen.
Aber Sie haben doch zum Beispiel Frau Witkiewicz zu Katja Ebstein gemacht.
Ja, der Name Witkiewicz wäre damals in den Medien nicht akzeptiert worden.
Hans Rudolf Kunze klingt aber auch nicht sexy.
Er war Lehrer, wollte das auch bleiben und hat mir gesagt: „Wie wollen Sie einen Typen wie mich erfolgreich vermarkten?“ Ich habe gesagt: „Sie dürfen sich einfach nicht anders verkaufen als Sie sind!“ Und später wurde er ja auch „Oberlehrer der Nation“ genannt. Man muss immer aus der Essenz eines Künstlers sein Markenzeichen destillieren.
Hat für Sie Kunst immer auch etwas mit Kommerz zu tun?
Ich akzeptiere jeden, der sich Künstler nennt, solange er nicht sagt, dass er Geld verdienen will. Dann muss er eben auch Manager mitreden lassen. Platten werden nicht für Künstler oder Kritiker gemacht, sondern damit Menschen Geld dafür bezahlen.
Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Ich habe nie mit Geld um mich geworfen und teure Stars eingekauft, sondern versucht, selbst Künstler zu entdecken, wie zum Beispiel Al Jarreau.
Haben Sie auch Trends verschlafen?
Was ich unterschätzt habe, war die Entwicklung der elektronischen Musik mit Deutschland als Lokomotive mit Gruppen wie Tangerine Dream und Kraftwerk. Ich war damals in München, und nicht in Berlin und Düsseldorf, und habe das anfangs zu wenig mitbekommen. Aber wenigstens mit Can und Amon Düül 1 war ich dann doch avantgardistisch.
Seit 20 Jahren haben Sie sich wieder dem Jazz zugewandt. Aber Jazz ist nicht mehr die bestimmende Populärmusikrichtung wie in Swing-Zeiten.
Das hat zwei Gründe: Zum einen will das große Publikum letztlich möglichst einfach unterhalten werden und Jazz ist letztlich Hochkultur und im höchsten Maße individualisiert: Jazz ist die große Freiheit des Einzelnen in einer Gruppe von Gleichgesinnten. Und der zweite Grund, warum Jazz jetzt eher ein Nischendasein führt, ist, dass er seit Bebop und Freejazz oft nicht mehr Tanzmusik ist. Da sind dann die Mädels weggefallen, die ja auch besser tanzen können als Jungs und bestimmen, wo’s abends hingeht. Deshalb sind in Jazzclubs auch mehr Männer. Aber natürlich gibt es wieder zunehmend Jazzer, die sexy sind und ihr Publikum mitnehmen.
Ist Volksmusik eine neue Inspirationsquelle für den Jazz?
Ja, selbst die Biermösl Blosn atmet doch stark den Geist des Jazz. Und es gibt eine neue Volksmusikbewegung, die den Jazz inspiriert und zum Teil Jazz ist, wie zum Beispiel das deutsche Talent Matthias Schriefl oder Michael Wollny. Jan Gabarek kommt von der norwegischen Folklore, der Trompeter Enrico Rava ist vom Klang von Triest inspiriert, oder Paolo Fresu ist geerdet von der Volksmusik seiner sardischen Heimat. Ich rate deutschen Jazzmusikern, aus ihrer Heimat Kraft zu saugen!
Adrian Prechtel
ACT-Künstler in der Unterfahrt, Einsteinstraße 42, Tel. 4482794. Heute, 21 Uhr: The Norway of Jazz N° 28, Helge Sunde Ensemble Denada. Morgen, Do, 21 Uhr, Vijay Iyer, Piano. „Siggi Loch – Plattenboss aus Leidenschaft“, Autobiografie, (Edel Verlag, 269 Seiten, 26.95 Euro)
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