Viele Fragen: Judith Hermann liest aus "Alice"

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MÜNCHEN -

Wenn einem Autor mitten in der Lesung die Stimme wegbleibt, ist das normalerweise ein Pech. Judith Hermann dagegen konnte sich glücklich schätzen, denn auf diese Weise wurde ihr die Beantwortung mancher Fragen erspart. In den ausverkauften Saal des Literaturhauses war sie gekommen, um ihr neues Buch „Alice“ vorzustellen – ganze sechs Jahre nach ihrer letzten Veröffentlichung „Nichts als Gespenster“. Es geht darin um den Tod von fünf Männern in fünf Geschichten, die durch die gleiche Hauptperson verknüpft sind.

Dabei war die Anteilnahme des Publikums unterschwellig rege, wenn auch nicht erwünscht. Literaturkritikerin Ursula März eröffnete den Abend mit einem Gespräch über das Warten, mit dem so viele von Hermanns Figuren ihre Zeit zubringen und das auch die Schriftstellerin kennt.

In elf Jahren hat sie drei Bücher geschafft und sagt auf die Frage nach den Pausen offen: „Es ist schon so, dass ich darauf warte, dass mir etwas einfällt.“ Auf freundliche Art ernst, gelassen und notorisch amüsiert wirkend sitzt Hermann mit großmütterlichem Dutt auf dem Podium und erklärt, warum ihre Geschichten sich so sehr auf das Operative konzentrieren.

Es wird nicht dramatisch gestorben und verzweifelt getrauert in „Alice“. Es werden Übernachtungsmöglichkeiten in Zweibrücken gesucht, wo der Freund im Krankenhaus liegt, Babys gesittet, damit die Mutter zu ihrem sterbenden Mann kann – das Drumherum nimmt viel Raum ein, das Emotionale wird zurückgestellt. „Ich kann es nicht erzählen, und es ist auch zu intim“, sagt Hermann. „Man kann es aus dem Subtext erlesen, aber das ist ein Schutzraum für meine Figuren. Ich stelle sie nicht aus.“

Dann kommt der Moment, wo ihr beim Lesen die Stimme wegbleibt – und Ursula März die Zeit nutzt, um Fragen von internationalen jungen Kritikern vorzulesen, die gerade ein Seminar im Literaturhaus absolvieren. Es geht darin in recht umständlichen Sätzen um Einflüsse auf den Literaturbetrieb, um den Tod, um Hermann als die viel beschworene „Stimme ihrer Generation“ - meist derart verschwurbelt und verkopft, dass die Fans sich ausschütten vor Lachen. Vielleicht hätten einige von ihnen auch lieber selbst Fragen gestellt, wofür es keine Gelegenheit gab. „Ich glaube, das sind so psychosomatische Gründe, warum mir die Stimme wegbleibt“, sagt Hermann leise mit feinem Lächeln, und bringt den Abend dann doch noch als Glücksfall zu Ende.

Julia Bähr

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