Viel großartiges Mittelmaß
In Cannes zeigt Wim Wenders "Palermo Shooting", ein Werk über einen Star-Fotografen gespielt von Campino. Am Sonntag werden die Palmen verliehen.
Mit seiner exzentrischen Brille ist er ein Blickfang, dabei eher introvertiert: Wim Wenders vertritt zum neunten Mal den deutschen Film beim Festival Cannes (1984 Goldene Palme für „Paris, Texas“). Diesmal sind Milla Jovovich (spielt sich als schwangeres Model selbst) und Campino dabei, Hauptdarsteller des Films „Palermo Shooting“, in dem es nicht um Mafia-Schießereien geht, sondern um einen Star-Fotografen, der in der sizilianischen Stadt sich selbst sucht – nach seinem High-Society-Leben, Modell-Sessions und Lebensüberdruss im Überfluss. Aber der intellektuelle Romantiker Wenders baut neben der psychologischen Ebene mit Traumdeutung und Bildern auch noch Philosophisches ein, fragt, wie wirklich ist die Wirklichkeit anhand des Bilderberufes Fotograf, der er als Filmemacher ja auch selbst ist, mit seinen immer eine Metaebene suggerierenden Stilbildern – diesmal von Düsseldorf, Köln und eben: Palermo.
Palmenverdächtig ist der Film in seiner Kunstform zwar nicht, aber so wie viele der 22 Wettbewerbsbeiträge: großartiges Mittelmaß. Denn keiner ragte heraus. Die Palmen-Propheten sind heuer schwer verunsichert. Der unbequeme Sean Penn wird als Jury-Präsident sicher wenig für reine Schönheit übrig haben. Gute Aussichten für „Gomorrah“ nach dem Bestseller von Roberto Saviano, der selbst am Drehbuch mitschrieb.
Und so geht am Ende des Festivals der Blick vom mythisch verklärten Palermo ins hässliche Armuts-Neapel, wo zu viel Sehen halt Sterben bedeutet. Regisseur Matteo Garrone ist es gelungen, den Zuschauer knapp zwei Stunden lang unter beklemmender Anspannung zusehen zu lassen, wie das organisierte Verbrechen alle Lebensbereiche durchdringt, ein unentrinnbares Netz spannt. Keine Postkartenbilder, sondern der gefährliche Müll, die betonierte Stadt und der ständig lauernde Tod.
Eine mögliche Sensation wäre auch der Sieg von „Lornas Schweigen“ über eine junge Kosovo-Frau, die sich durch Scheinehen im gelobten Land Belgien hält und einen immer grausameren Preis dafür bezahlen muss. Denn das Regisseur-Bruderpaar Jean-Pierre und Luc Dardennes hat schon zwei Mal eine Goldene Palme gewonnen („Rosetta“, 1999, „Das Kind“, 2005). Oder fällt die Entscheidung am Sonntagabend für etwas ergreifend Neues wie den gezeichneten Dokumentarfilm „Waltz with Bashir“ über den Libanonkrieg der 80er Jahre von Ari Folman? Feierlaune herrscht jetzt schon.
Adrian Prechtel
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