Viel Buhs für die Strapse

Bayreuth: Stefan Herheim erzählt Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ als deutsche Geschichtsrevue
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Bayreuth: Stefan Herheim erzählt Wagners Bühnenweihfestspiel „Parsifal“ als deutsche Geschichtsrevue

Die teuflisch holden Frauen haben längst ausgesäuselt, der Karfreitagszauber ist verblasst. Unterm Fenster geht Alan Titus mit seinem Hund vorbei, jodelt eine Tonleiter durch die Tristanstraße, in ein paar Stunden muss er den Sachs stemmen. Und immer noch rauschen Soldaten, Hakenkreuzfahnen und die Versatzstücke aus der Villa Wahnfried durchs Hirn, tanzen Stefan Herheims Bilder wie Derwische um einen flackernden Gral. Kurios ist das, normalerweise brennen sich Wagners Motivketten in den Gehörgang. Aber in dieser großen „Parsifal“-Revue durch die deutsche Geschichte hat der Graben nicht viel auszurichten.

Dabei zelebriert Daniele Gatti die weihevollen Töne, lässt sie in die Breite strömen, dezent dampft der Dunst der Andacht, jedes seidenschimmernde Pianissimo wird ausgekostet, jeder Anflug einer Pause gedehnt, doch für diese langsamen Tempi fehlt es an innerer Spannung. Dass die Sänger da an Grenzen stoßen, liegt auf der Hand. Und dafür schlug sich die Gralsgesellschaft erstaunlich vital durch die Szenen.

Mittelprächtiger Gesang

Kwangchul Youn darf mit mächtigem Bass wuchern und kommt doch nicht über steife Stereotypien hinaus. Da gaben sich die Herren der mittleren Regionen deutlich wendiger, wenngleich der kultiviert abgedrehte Amfortas des Detlef Roth im Oratorium besser aufgehoben wäre, und selbst Thomas Jesatko als optisch imposante Klingsor-Transe stimmlich ein bisschen zu brav daherkommt. Immerhin gab's für die kessen Strapse ein paar prüde Buhs. Und tatsächlich scheint der zweite Aufzug immer noch am heftigsten in den Wagner-Seelen zu pieksen. Wenn Kundrys Freud-getränkte Verführungskunst nicht zieht, muss die SS ran. Und um den Einbruch der signalroten Nazi-Beflaggung vorzubereiten, versammeln sich neuerdings entsetzt blickende Exilanten mit ihren Koffern hinterm Lotterbett.

Aber Herheim erklärt eben gerne. Und üppig. Was in dieser Deutschland-Bayreuth-Infotainment-Show mit beträchtlichem Unterhaltungswert oft überflüssig ist. Heike Scheeles fulminante Bühne fordert das Auge auch ohne Videos. Mit Doppelgängern und Rollenwechslern ist man noch besser beschäftigt. Und im Bett mit Herzeleidekundrycosimaamfortasgermaniabarbarossa liegt sich's schon aufregend genug.

Daneben kann sich die etwas wendiger gewordene Mihoko Fjuimura noch so verausgaben. Wenn sie ihren kühlen Mezzo auffahren lässt, hat das im Rausch der Bilder wenig Wirkung. Und selbst der kracherte Christopher Ventris musste zusehn, wo sein Zausel-Parsifal bleibt. Wagners Gesamtkunstwerk hat visuelles Übergewicht. Den Sinn des verdeckten Orchestergrabens trifft das kaum.

Christa Sigg

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