Versprechen an die Jugend

Jetzt wurde es öffentlich, gemunkelt hatte man es schon länger: Anne Sophie Mutter (44) erhält den Ernst von Siemens Musikpreis.
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Jetzt wurde es öffentlich, gemunkelt hatte man es schon länger: Anne Sophie Mutter (44) erhält den Ernst von Siemens Musikpreis.

Er ist so etwas wie der Nobelpreis für Musik. Entsprechend hoch ist er auch dotiert – mit 200000 Euro. Jetzt wurde es öffentlich, gemunkelt hatte man es schon länger: Anne Sophie Mutter (44) erhält den Ernst von Siemens Musikpreis. Die Geigerin, wohl die berühmteste ihrer Zunft und damit eine der wenigen Auserwählten, die seit Jahrzehnten gut im Geschäft sind, will das Preisgeld einer Stiftung zukommen lassen, allerdings nur zur Hälfte. Damit wird sie durch eine Stiftung musikalischen Spitzennachwuchs fördern.

Die Auszeichnung wird am 24. April in den Münchner Kammerspielen überreicht. Laudator ist Kulturpapst Joachim Kaiser. Anne Sophie Mutter verstehe sich in ihrem Spiel „wie wenige auf die Fähigkeit, Kunstcharakter, Natürlichkeit, makellose Technik und innigstes Gefühl miteinander zu verbinden“, begründete die Siemens Stiftung ihre Entscheidung. Sie weist auf Mutters besondere Leidenschaft für zeitgenössische Musik hin und hebt den warmen, beseelten Ton ihres Spiels hervor.

Die Wahlmünchnerin Anne Sophie Mutter, derzeit mit den Berliner Philharmonikern und Dirigent Seiji Ozawa auf großer Europa-Tournee, zeigte sich überrascht: „Ich bin überwältigt, in einer solch illustren Reihe von Preisträgern zu stehen.“ Kein Wunder: Die Liste der Ausgezeichneten liest sich wie wie das „Who is Who“ der klassischen Musik: von Benjamin Britten über Dietrich Fischer- Dieskau, Yehudi Menuhin, Daniel Barenboim, Nikolaus Harnoncourt, Maurizio Pollini, Rudolf Serkin, Leonard Bernstein bis hin zuMaurizio Kagel, György Ligeti, Karlheinz Stockhausen und Pierre Boulez. Aber warum bekommen ausgerechnet immer die den Preis, die jeden Preis zahlen können? Als Herbert von Karajan 1977 den Siemens-Ritterschlag erhielt, motzte Pianist Alfred Brendel im AZ-Interview und schlug seinen begabten, aber armen Kollegen Radu Lupu vor: Anstatt Konzerte geben zu müssen, um den Lebensunterhalt zu verdienen, hätte Lupu mit dem Preisgeld endlich ausgiebig Zeit zum Üben.

Aber 2004 gehörte Brendel selbst zu den Auserwählten. Und natürlich hatte er dazu gelernt: Dass nämlich der Siemens Preis mit der Auszeichnung bedeutender Persönlichkeiten und der Förderung vielversprechender junger Künstler schon deshalb nicht zu unterschätzen sei, weil er ein dringend benötigtes Gegengewicht darstellt zu der immer bedrohlicher werdenden Versuchung, Kultur auf niedrigstem Event-Niveau zu etablieren. So gehört der Opportunismus mancher Opern-Intendanten, musikalischen Leichtgewichten bedeutende Inszenierungen anzuvertrauen, längst zum bedauerlichen Alltag. Hauptsache, die Kasse stimmt. Auch Anne Sophie Mutter sieht die Gefahr. Die musikalische Früherziehung in Deutschland hält sie für unzureichend. „Der Mensch definiert sich vor allem über seine geistigen Fähigkeiten, über Fantasie, Kreativität und Emotionen“, sagt sie. „Schon im Kindergarten müsste intensiv mit Gerhörbildung, dem Erkennen von Tonhöhen und gemeinsamem Singen begonnen werden.“ Als allein erziehende Mutter zweier Kinder weiß sie, wovon sie spricht.

Dass Schüler in der Oberstufe ein kreatives Fach – Kunst oder Musik – abwählen können, hält sie geradezu für grotesk: „Das ist so, wie wenn man zwischen Blindheit und Taubheit wählen sollte.“ Auch die Verantwortlichen für diese Entwicklung hat Anne Sophie Mutter längst ausgemacht: Die Politik sei daran interessiert, die Menschen „nur zum schnellen Geldverdienen“ auszubilden. Eigentlich wollte sie sich mit 45 Jahren zur Ruhe setzen. Das wäre in fünf Monaten. Aus ihrem Umfeld sind zaghafte Dementis zu hören: Sie werde erst zurücktreten, wenn sie sich älter als 45 fühle. Der Preis wird sie animieren, jetzt erst recht weiterzumachen. Volker Boser

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